Im Ringen um den EU-Austritt hat das britische Parlament sowohl Premierministerin Theresa May als auch Oppositionschef Jeremy Corbyn auf deren neuen Brexit-Kurs eingeschworen. Beide hatten sich vor der Abstimmung am Mittwochabend (27. Februar) unter Druck aus ihren Fraktionen auf Zugeständnisse eingelassen.

May entging bei der Abstimmung über die nächsten Schritte beim EU-Austritt am Mittwochabend einer Revolte der No-Deal-Gegner. Sie hatte bereits am Tag zuvor weitgehende Zugeständnisse gemacht: Sollte sie mit ihrem Brexit-Abkommen im Parlament erneut scheitern, könnte das Parlament den Austritt verschieben, um ein ungeregeltes Ausscheiden aus der Europäischen Union zu verhindern.

Diesen Plan bekräftigten jetzt die Abgeordneten mit überwältigender Mehrheit von 502 zu 20 Stimmen. Einen Denkzettel bekam May von den Brexit-Hardlinern in ihrer Partei. Die enthielten sich zu großen Teilen, auch die Gegenstimmen kamen nach Medienberichten von Brexiteers aus der konservativen Fraktion. Die Pläne von Labour-Chef Corbyn für einen weicheren Brexit lehnten die Abgeordneten hingegen sehr deutlich ab. Er steht nun unter Druck, sich jetzt für ein zweites Referendum einzusetzen. Das hatte Corbyn am Montag in Aussicht gestellt, sollte die Regierung nicht auf seine Pläne für eine engere Bindung an die EU samt Zollunion umschwenken.

Bei einem "No Deal" sollen die Rechte für EU-Bürger garantiert werden

Corbyn teilte nach der Abstimmung mit, dass Labour ein zweites Referendum unterstützen werde. Zugleich betonte der Alt-Linke aber, dass seine Partei auch andere Möglichkeiten weiterverfolgen werde. Dazu gehörten die eigenen Brexit-Pläne oder auch eine Neuwahl.

Sollte es zu einem No Deal kommen, wollen die Abgeordneten die im Austrittsabkommen vereinbarten Rechte für EU-Bürger in Großbritannien und Briten in der EU trotzdem garantieren. Einen entsprechenden Antrag winkten die Parlamentarier durch. Der Beschluss ist aber rechtlich nicht bindend. Zudem wären in diesem Fall für die Rechte der Briten in der EU die einzelnen Mitgliedstaaten zuständig.

Der sozialdemokratische Fraktionschef im Europaparlament, Udo Bullmann, schrieb auf Twitter, der Brexit bringe zu viele Unsicherheiten für Menschen in Europa. «Gut, dass das britische Parlament heute Abend zumindest seine Unterstützung für den Schutz der Rechte von EU-Bürgerinnen und Bürgern in Großbritannien und britischer Bürgerinnen und Bürger in der EU zeigt.»

Merkel und Macron signalisierten ihre Bereitschaft für eine Verschiebung

Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron signalisierten London unterdessen ihre Bereitschaft für eine kurze Verschiebung des Brexits. «Wenn Großbritannien etwas mehr Zeit braucht, dann werden wir uns dem nicht verweigern», sagte Merkel bei einem Treffen mit Macron in Paris. Man stimme zugleich aber vollkommen darin überein, dass das Austrittsabkommen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien gelte, betonte die Kanzlerin.

May machte den Abgeordneten vor der Abstimmung Hoffnungen, dass Brüssel ihr beim Abkommen doch noch entgegenkommen wird. Sie stehe kurz davor, Zugeständnisse seitens der EU zu erhalten. Der Fokus des Unterhauses müsse nun darauf liegen, einen Deal zum EU-Austritt zustande zu bekommen und die Europäische Union am 29. März zu verlassen. «Das Parlament sollte seine Pflicht erfüllen, damit unser Land vorankommen kann», schrieb May in der «Daily Mail».

Die Premierministerin hatte am Dienstag erstmals eingeräumt, dass Großbritannien die EU auch nach dem 29. März verlassen könnte. Sie versprach, die Abgeordneten über eine mögliche Verschiebung abstimmen zu lassen. Sollte sie bis zum 12. März mit ihrem Deal wieder scheitern, will sie die Abgeordneten vor die Wahl zwischen einem ungeregelten Ausscheiden aus der EU oder einer «kurzen Verlängerung» stellen.

Barnier: Die Briten unterschätzten die Konsequenzen des Brexits

Der Brexit-Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, hält ein geregeltes Ausscheiden der Briten aus der EU noch für möglich. «Es ist nicht richtig zu sagen, dass ein No-Deal-Brexit am wahrscheinlichsten ist», sagte Barnier dem französischen Sender Franceinfo. Als Verhandlungsführer tue er alles, um eine Einigung zu erzielen. Dabei setze er alles daran, dass ein Abkommen mit May zustande komme, dem das Unterhaus auch zustimmen werde.

Die Briten unterschätzten die Konsequenzen des Brexits oft, sagte Barnier. Dabei seien die Folgen besonders für die Briten gravierend. «Sie sind unzählig: menschlich, sozial, wirtschaftlich und finanziell, technisch und rechtlich.» Beim Brexit gebe es nur Verlierer.

May ließ offen, wie lange genau der EU-Austritt verzögert werden könnte. Sie betonte jedoch, dass eine Verschiebung über Ende Juni hinaus nicht möglich sei. Andernfalls müsse Großbritannien an der Wahl zum Europaparlament Ende Mai teilnehmen. Das sei aber im Lichte des Brexit-Votums der Bevölkerung nicht vermittelbar. Eine zweite Verschiebung sei dann so gut wie ausgeschlossen.

Die Abstimmungen sollen spätestens am 13. und 14. März stattfinden

Die Abstimmungen über einen No-Deal-Brexit und eine Verschiebung des EU-Austritts sollen spätestens am 13. und 14. März stattfinden. May: «Das Vereinigte Königreich wird am 29. März nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Unterhauses ohne Deal austreten.» Ein späterer ungeregelter Austritt sei aber weiter möglich. «Wenn wir müssen, werden wir am Ende einen Erfolg aus einem No-Deal-Brexit machen.»

Die Mehrheit der EU-Bürger rechnet einer Umfrage zufolge nicht mit spürbaren oder gar negativen Folgen des Brexits für die übrigen Mitgliedstaaten. Die meisten Befragten (61 Prozent) vertreten den am Mittwoch von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichten Daten zufolge die Auffassung, dass der Brexit keine spürbaren Auswirkungen auf die EU-Länder haben wird. Mit 27 Prozent deutlich weniger gehen dagegen von negativen Folgen aus. 12 Prozent der Befragten glauben sogar, dass es anderen EU-Staaten ohne die Briten besser gehen wird.

Von Christoph Meyer und Silvia Kusidlo, dpa

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