2017 war für Europa ein turbulentes Jahr. Die Briten kündigten offiziell der Austritt aus der EU an, in mehreren Ländern feierten Rechtspopulisten Wahlerfolge und Autonomieforderungen werden in einigen Regionen Europas lauter. Doch gen Ende des Jahres steht die EU in Zeiten des Brexits wieder enger zusammen. Und in Frankreich verbreitet Reformer Emmanuel Macron nach seinem Sieg bei der Präsidentschaftswahl Aufbruchstimmung. Nur die Regierungskrise in Deutschland dämpft vor dem Jahresende die Stimmung.

DEUTSCHLAND: Das hat es in den fast 70 Jahren der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Dabei war das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24. September gar nicht so sensationell. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) war geschwächt, aber nicht abgewählt; der Erfolg der rechten AfD immerhin bemerkenswert. Doch dann kam das Scheitern der Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition, und das in Berlin bisher ganz ungewohnte Wort von der Regierungskrise war in aller Munde. Minderheitskabinett, Neuwahl oder doch wieder große Koalition? Unsicherheit erfasste das Land. Und auch Europa machte sich Sorgen. Würde die manchmal ungeliebte, aber immer respektierte Kanzlerin ihre Führungsrolle verlieren? Das größte und stärkste EU-Mitgliedsland schien als Antreiber auszufallen. Dabei wollte die EU doch mit ehrgeizigen Reformen auf den Brexit reagieren. Vor allem Paris musste fürchten, dass ihm der wichtigste Partner wegbricht.

FRANKREICH: Präsident Emmanuel Macron wirbelt die politische Landschaft Frankreichs durcheinander. Der sozialliberale Senkrechtstarter verzeichnete seit seinem Amtsantritt im Mai kräftige Einbußen in der Beliebtheitsskala, ließ aber beim Reformtempo nicht nach. Das Lager seiner Gegner ist zersplittert; seinen Widersachern gelang es bisher auch mit Straßenprotest nicht, das Land lahmzulegen. Der Europafreund Macron setzt für eine grundlegende Neuaufstellung der EU auf den Partner Deutschland - der aber wegen politischer Turbulenzen erst einmal weitgehend ausfällt. Der Ex-Bankier will zudem mehr Glanz und Einfluss für Frankreich auf internationaler Bühne und scheut daher nicht den Kontakt mit seinen Amtskollegen aus Washington und Moskau, Donald Trump und Wladimir Putin.

SPANIEN: Das von der Justiz verbotene Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien hat das Land in die tiefste Krise seit dem Ende der Franco-Diktatur gestürzt. Seit Ende Oktober steht die Region mit ihrer Hauptstadt Barcelona unter Verwaltung der Zentralregierung in Madrid - eine Maßnahme, die nie zuvor angewandt worden war. Mehrere Ex-Minister der katalanischen Regionalregierung sind im Gefängnis, andere haben sich nach Brüssel abgesetzt. Um die Lage sobald wie möglich zu normalisieren hat Ministerpräsident Mariano Rajoy für den 21. Dezember 2017 eine Neuwahl angekündigt. Unklar ist, wie es bei einem erneuten Sieg der separatistischen Parteien weitergeht.

Politische Zäsur, Brexit und Migrationspolitik

GROSSBRITANNIEN: Für die britische Regierung war das vergangene Jahr eine Aneinanderreihung von Pleiten, Pech und Pannen auf dem Weg zum EU-Austritt im März 2019. Eine Neuwahl, die Premierministerin Theresa May zu mehr Spielraum in Sachen Brexit verhelfen sollte, geriet zum Desaster. Mays Konservative verloren die Mehrheit im Parlament. Zudem verlaufen die Austrittsgespräche mit Brüssel nur schleppend. Sollte es nicht bald Fortschritte geben, muss sich die britische Wirtschaft bald schon auf ein holperiges Ausscheiden aus der EU vorbereiten.

ITALIEN: Auch wenn in Italien inzwischen deutlich weniger Flüchtlinge ankommen, wird die Migration aus Afrika auch 2018 das beherrschende Thema bleiben. Die Frage ist: Kann die engere Kooperation zwischen Rom und den libyschen Behörden den Zustrom von Migranten weiterhin weitgehend unter Kontrolle halten - oder gibt es eine vergleichbare Entwicklung wie im Mai und Juni 2017, als pro Monat um die 23 000 Menschen die Häfen des Landes erreichten? Das Thema dürfte auch den Wahlkampf für die Parlamentswahl überschatten, die spätestens im Mai stattfinden muss - und bei der Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi (81) sein Comeback feiern könnte. Mitte-Rechts-Parteien profitieren von der zunehmend migrantenfeindlichen Stimmung. Die Sozialdemokraten brauchen Verbündete, um eine absolute Mehrheit in Rom zu erreichen. Sollte die euro-kritische Fünf-Sterne-Partei erneut stärkste Kraft werden, könnte dies die eh kränkelnde Wirtschaft noch mehr belasten.

ÖSTERREICH: Das Land hat 2017 eine politische Zäsur erlebt. Die bisher übliche große Koalition aus der sozialdemokratischen SPÖ und der konservativen Volkspartei ÖVP ist zerbrochen. Bei der Neuwahl am 15. Oktober waren die ÖVP und die rechte FPÖ die Gewinner. Sie wollen eine Regierung bilden. Damit steht der 31-jährige Sebastian Kurz wohl als jüngster Regierungschef Europas fest. Für die nächste Legislaturperiode absehbar sind mehr Etatdisziplin, innenpolitische Strukturreformen und ein noch härterer Anti-Migrations-Kurs.

Umstrittene Justizreformen, Kommunalwahlen und Koalitionen

NIEDERLANDE: ‎Bei der Wahl im März 2017 wurde der Vormarsch des Rechtspopulisten Geert Wilders zwar gebremst. Doch die Regierungsbildung war so schwer und lang wie nie zuvor: Gut sieben Monaten brauchte der rechtsliberale Ministerpräsident Mark Rutte, bis er mit Christdemokraten, Linksliberalen und Calvinisten eine Koalition gebildet hatte. Sie hat im Parlament nur eine Stimme Mehrheit. Die Kommunalwahlen im März 2018 sind der erste Test für die Koalition.

POLEN: Im Streit der polnischen Regierung mit der EU-Kommission ist kein Ende in Sicht. Unbeeindruckt von den Sanktionsdrohungen Brüssels, durch die Polen sogar sein Stimmrecht im EU-Ministerrat verlieren könnte, treibt die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) umstrittene Justizreformen voran. Kritiker fürchten um die Unabhängigkeit der Gerichte. Zwar kündigte das ebenfalls EU-kritische Ungarn an, zu Polen zu halten und Strafen fürdas Land so zu verhindern. Auf EU-Ebene scheint die zunehmende Isolation Warschaus, das auch in Sachen Migrationspolitik mit Brüssel im Clinch ist, aber unvermeidlich.

UNGARN: Im Frühjahr 2018 wird in Ungarn turnusmäßig ein neues Parlament gewählt. Der Termin steht noch nicht fest. Ein deutlicher Wahlsieg der regierenden Fidesz-Partei des rechts-konservativen Ministerpräsidenten Viktor Orban gilt aber als gesichert.

Finanzkrise, Präsidentschaftswahl und Nato-Gespräche

TSCHECHIEN: Wie es nach der Parlamentswahl vom Oktober 2017 in Tschechien weitergeht, wird sich zeigen. Unklar war zuletzt, ob der liberal-populistische Wahlsieger Andrej Babis (63) mit seinen Plänen für eine Minderheitsregierung das Vertrauen der Abgeordneten gewinnen würde. Mitte Januar steht zudem die Wahl eines neuen Präsidenten an. Amtsinhaber Milos Zeman (73) gilt Umfragen zufolge als Favorit für eine zweite Amtszeit, ist aber wegen seines guten Verhältnisses zu Babis und seiner pro-russischen Politik nicht unumstritten.

BALTIKUM: Mit der Verlegung von jeweils gut 1000 Soldaten nach Estland, Lettland, Litauen und Polen hat die Nato ihre größte Truppenverlegung in Richtung Osten seit Ende des Kalten Krieges abgeschlossen. Die Entsendung der vier Bataillone an die Nato-Ostflanke soll den an Russland grenzenden Nato-Mitgliedern  zusätzliche Sicherheit geben. Die Bundeswehr ist vorne mit dabei und führt mit 450 Soldaten den Gefechtsverband in Litauen an, das 2018 - wie seine Nachbarn Estland und Lettland - sein 100. Staatsjubiläum begehen wird. In Lettland steht 2018 zudem die Parlamentswahl an. Estland gibt zum Jahreswechsel den EU-Ratsvorsitz an Bulgarien ab.

GRIECHENLAND: Nach fast acht Jahren Finanzkrise steht das Land 2018 vor einer Nagelprobe. Im August endet das aktuelle Hilfsprogramm für Griechenland. Alle hoffen, dass sich Athen dann alleine am Geldmarkt Finanzmittel besorgen kann. Während der ersten Monate des neuen Jahres soll es zudem Gespräche und einen Ideenaustausch innerhalb der Eurogruppe geben, wie den Griechen der Weg an die Finanzmärkte wieder geebnet werden könnte. Darunter könnten weitere Maßnahmen zur Reduzierung des gigantischen Schuldenberges von rund 180 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung sein.

ZYPERN: Die Insel hofft weiterhin auf ein Wunder, das zur Überwindung der seit 1974 andauernden faktischen Teilung in einen türkisch- und einem griechisch-zyprischen Teil führen könnte. Nach der Präsidentschaftswahl Ende Januar und Anfang Februar 2018 könnten in der Republik Zypern (Südteil der Insel) neue Gespräche starten.

 {
 "excerpt": "Für Europa war 2017 kein einfaches Jahr. Ein Rück- und Ausblick.",
 "creationDate": "2017-12-01",
 "permalink": "https://ednh.news/de/turbulente-zeiten-fuer-europa-was-bringt-das-neue-jahr/",
 "language": "de",
 "categories": "Nachrichten",
 "media": "",
 "imageFeatured": "https://ednh.news/wp-content/uploads/2017/12/171116-99-896396.jpg",
 "status": "publish",
 "authorId": "8",
 "author": "dpa"
}