All das Für und Wider, die Warnungen vor Chaos und Absturz, die Appelle an die Vernunft - es hat alles nichts genützt. Das Brexit-Abkommen ist im britischen Unterhaus krachend gescheitert. Nur zehn Wochen vor dem geplanten Austritt brauchen Großbritannien und die Europäische Union nun dringend einen Plan B. Die britische Premierministerin Theresa May hat für Montag einen Vorschlag angekündigt, und die EU blickt gespannt nach London. Doch bleiben nicht mehr viele Optionen, um einen chaotischen Bruch am Brexit-Tag 29. März abzuwenden.

1. Eine zweite Abstimmung im Unterhaus

Da die Niederlage mit 432 zu 202 Stimmen dramatisch ausfiel, hat ein neues Votum über denselben Deal wohl kaum Sinn. Die EU will das eigentliche Austrittsabkommen nicht mehr aufschnüren - auch Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht. Gesprächsbereiter zeigt sich die EU über die «Politische Erklärung» zu den künftigen Beziehungen beider Seiten, die das Austrittsabkommen ergänzt.

Würde sich Großbritannien langfristig auf eine engere Bindung an die EU einlassen, zum Beispiel in einer Zollunion, käme man einfacher und rascher zueinander. «Das wäre kein Problem für uns», sagte CDU-Brexit-Experte Elmar Brok am Mittwoch. Ähnlich äußerte sich EU-Chefunterhändler Michel Barnier: Die EU werde darauf eingehen, falls London seine «roten Linien» überdenke - eben den angekündigten Austritt aus Zollunion und Binnenmarkt.

Unterm Strich erwartet Brüssel also Bewegung in London, um einen Ausweg aus der Sackgasse zu weisen. «Ich rufe das Vereinigte Königreich dringend auf, uns seine Vorstellungen über das weitere Vorgehen so rasch wie möglich mitzuteilen», forderte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker.

Zwei Faktoren könnten einen Umschwung in London fördern, vermutete Fabian Zuleeg von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre (EPC): «Zusätzlicher Zeitdruck könnte helfen» - nämlich das immer näher rückende Austrittsdatum. «Und der wirtschaftliche Druck wird sich erhöhen», sagte Zuleeg der Deutschen Presse-Agentur.

2. Die Verschiebung des Brexits

Premierministerin May hat eine Verlängerung der Austrittsfrist über den 29. März hinaus immer und immer wieder abgelehnt. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass die konservative Regierungschefin ihre Linie ändert. Sie könnte einen Antrag bei den übrigen 27 EU-Staaten stellen. Und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte signalisierte am Mittwoch, dass ein Aufschub nicht ausgeschlossen sei.

Doch wäre das aus EU-Sicht nur sinnvoll, wenn es eine konkrete Begründung gäbe, etwa eine Neuwahl oder ein zweites Referendum in Großbritannien. Und es ginge nur für sehr begrenzte Zeit. Denn nach der Europawahl vom 23. bis 26. Mai konstituiert sich Anfang Juli das neue Europaparlament. Sind die Briten da noch EU-Mitglied, müssten auch sie Abgeordnete nach Straßburg schicken. Das nur für eine Übergangsfrist zu tun, lehnt nicht nur der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, CSU-Vize Manfred Weber, ab. Sonst hätten die britischen Abgeordneten noch einmal Mitsprache über den neuen EU-Kommissionspräsidenten - kurz bevor sie dann doch gehen.

3. Neues Referendum oder Neuwahl

Für ein zweites Referendum über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens wäre die Frist bis Ende Juni sehr knapp. EPC-Fachmann Zuleeg rechnete vor, dass dies in Großbritannien nach Richtlinien der Wahlkommission rund fünf Monate Vorlauf bräuchte. Es sei auch unklar, über welche Frage die Briten abstimmen sollten. Würde das wirklich einen Austritt ohne Abkommen verhindern? «Man kann nicht davon ausgehen, dass sich das britische Wahlvolk umentscheidet», meinte Zuleeg.

Eine Neuwahl in Großbritannien könnte eine gütliche Brexit-Lösung voranbringen, zumal die oppositionelle Labour-Partei mehrheitlich eine engere Bindung an die EU mit Zollunion und Anbindung an den EU-Binnenmarkt befürwortet. Labour-Chef Jeremy Corbyn wollte den Sturz der Regierung von Theresa May am Mittwoch mit einem Misstrauensvotum erzwingen - und schaffte es wie erwartet nicht.

4. Rückzieher des Brexit-Antrags

Den Weg hat der Europäische Gerichtshof in einem Urteil im Dezember eröffnet: Großbritannien könnte den 2017 gestellten Antrag auf EU-Austritt jederzeit einseitig zurückziehen, auch noch kurz vor dem Austrittsdatum. Das Land bliebe wie bisher Mitglied der EU. Ein weiterer Austrittsantrag ist damit nicht ausgeschlossen. Man hätte Zeit gewonnen. Aber: «Das ist sehr unwahrscheinlich», sagte der SPD-Fraktionschef im Europaparlament, Udo Bullmann, der dpa. Einem solchen Rückzieher müsste das britische Parlament zustimmen. «Das ist eine sehr hohe Hürde», meinte auch Zuleeg. In der britischen Innenpolitik spielte diese Option bisher kaum eine Rolle.

5. Der Sturz über die Klippe

Corbyn verwies in der Parlamentsdebatte am Dienstag darauf, dass das Unterhaus mehrheitlich gegen einen No-Deal-Brexit sei, also gegen einen ungeregelten Austritt ohne Vertrag, bei dem dramatische wirtschaftliche Verwerfungen befürchtet werden. Aber wie die geordnete Lösung aussehen soll, ist damit immer noch unklar. Da die britische Politik tief gespalten ist und einige britische Abgeordnete einen «No Deal» nicht schlimm finden, wird nicht ausgeschlossen, dass das Land quasi aus Versehen oder aus Zeitnot über die Klippe schlittert. Für Wirtschaft, Arbeitnehmer und Bürger brächte dies dramatische Unsicherheit und wohl einen Konjunktureinbruch. Sozialdemokrat Bullmann meinte aber: «Wenn alle einigermaßen bei Trost bleiben, muss das nicht sein.»

Von Verena Schmitt-Roschmann, Silvia Kusidlo und Christoph Meyer

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