Mit der Ankündigung eines teilweisen Truppenabzugs hat Russland am Dienstag überraschend ein Zeichen der Entspannung in der Ukraine-Krise gesetzt. Bei einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte Präsident Wladimir Putin anschließend in Moskau, dass Russland keinen neuen Krieg in Europa wolle. «Dazu, ob wir das wollen oder nicht: Natürlich nicht!», sagte Putin im Kreml nach dem dreistündigen Gespräch. Scholz verwies auf einen großen Spielraum für Verhandlungen. «Die diplomatischen Möglichkeiten sind bei weitem nicht ausgeschöpft», sagte er.

Stunden vor dem Antrittsbesuch von Scholz in Moskau begann Russland nach eigenen Angaben mit dem Abzug von Truppen im Süden und Westen des Landes. Dort seien einzeln Manöver abgeschlossen, hieß es. Andere Übungen - darunter im Nachbarland Belarus - liefen aber weiter.

Ähnlich wie Scholz warb auch US-Präsident Joe Biden in Washington für eine friedliche Lösung. «Wir sollten Diplomatie jede Chance auf Erfolg geben», sagte er - auch wenn ein russischer Einmarsch «immer noch» eine klare Möglichkeit sei. Er betonte zugleich: «Die Vereinigten Staaten und die Nato stellen keine Bedrohung für Russland dar. Die Ukraine bedroht Russland nicht.» Die USA versuchten auch nicht, Russland zu destabilisieren. Auch an die Bürgerinnen und Bürger Russlands richtete Biden eine Botschaft: «Sie sind nicht unser Feind.»

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Grafik-Karte Nr. 103737, Hochformat 90 x 110 mm , "Die Nato an der Ost- und Südostflanke"; Grafik: A. Brühl, Redaktion: S. Schneider

Nato-Präsenz in Osteuropa

Zu Meldungen der russischen Regierung, einige Militäreinheiten zögen ab, sagte Biden: «Das wäre gut, aber wir haben das noch nicht verifiziert.»

Scholz sprach bei einer Pressekonferenz mit Putin von einem «guten Zeichen». Er hoffe, dass ein weiterer Truppenabzug folge. «Wir sind bereit, gemeinsam mit allen Partnern und Verbündeten in der EU und der Nato und mit Russland über ganz konkrete Schritte zur Verbesserung der gegenseitigen - oder noch besser, der gemeinsamen - Sicherheit zu reden.»

Die USA und Europa hatten auf die russischen Manöver äußerst besorgt reagiert. Die USA befürchten, dass die Truppenbewegungen sowie ein Aufmarsch Zehntausender Soldaten entlang der ukrainischen Grenze der Vorbereitung eines Krieges dienen. Russland weist das zurück.

«Erst wenn wir einen Abzug sehen, glauben wir an Deeskalation»

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte zum russischen Truppenabzug zurückhaltend, man wisse noch nicht, ob er wirklich stattfinde. «Wir brauchen klare, belastbare, glaubwürdige Signale der Deeskalation», sagte er am Dienstag bei einem Besuch in Lettland. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erklärte: «Erst wenn wir einen Abzug sehen, dann glauben wir an eine Deeskalation.»

Ähnlich erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel: «Bislang haben wir vor Ort keine Deeskalation gesehen, keine Anzeichen einer reduzierten russischen Militärpräsenz an den Grenzen zur Ukraine.»

Die Verteidigungsminister der 30 Nato-Staaten beraten an diesem Mittwoch in Brüssel über Planungen für eine zusätzliche Abschreckung Russlands. Angesichts des russischen Truppenaufmarsches sollen so auch in südwestlich der Ukraine gelegenen Nato-Ländern wie Rumänien multinationale Kampftruppen stationiert werden.

Putin verlangt schriftliche Garantien

Putin bekräftigte im Gespräch mit Scholz die Bereitschaft zu weiteren Gesprächen mit der Nato und den USA über Sicherheitsgarantien für Moskau. Bisherige Gespräche brachten keine greifbare Ergebnisse. Er verlangte auch schriftliche Garantien, dass die Nato sich nicht auf die Ukraine ausdehne. Zudem forderte er den Westen auf, die ukrainischen Führung zur Umsetzung des Minsker Friedensplans für die Ostukraine zu drängen.

Scholz drohte erneut mit weitreichenden Konsequenzen bei einem militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. «Wir jedenfalls wissen, was dann zu tun ist», betonte er. «Und mein Eindruck ist, dass das auch alle anderen ganz genau wissen.» Zur Rolle der Gasfernleitung Nord Stream 2 in dem Konflikt sagte Scholz: «Was die Pipeline selber betrifft, wissen alle, was los ist.» Anders als nach dem Treffen mit US-Präsident Joe Biden sprach Scholz in Moskau auch den Namen der umstrittenen Gaspipeline in der Ostsee aus.

Für weiteren Konfliktstoff im Verhältnis Russlands zum Westen sorgte das russische Parlament. Kurz vor Putins Treffen mit Scholz rief es den Präsidenten auf, über eine Anerkennung der abtrünnigen ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk als «Volksrepubliken» zu entscheiden. Der Kreml teilte mit, dass die Staatsduma den Willen des Volkes widerspiegele, in der Sache aber nichts entschieden sei.

EU verurteilt Entscheidung der russischen Staatsduma

Die Ukraine, die Nato und die EU warnten Putin vor der Anerkennung. Stoltenberg nannte einen solchen Schritt eine Verletzung des Völkerrechts, der territorialen Unversehrtheit der Ukraine sowie der Minsker Friedensvereinbarungen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte: «Die EU verurteilt entschieden die Entscheidung der russischen Staatsduma.» Der ukrainische Außenminister Kuleba sagte in Kiew, im Falle der Anerkennung trete «Russland de facto und de jure aus den Minsker Vereinbarungen» aus. Der unter deutsch-französischer Vermittlung 2015 vereinbarte Friedensplan sieht vor, dass die beiden prorussischen Separatistengebiete autonome Teile der Ukraine sind. Kiew hat allerdings kein Autonomiestatut vorgelegt.

Inmitten der Bemühungen um eine Entspannung legte am Dienstag eine Cyberattacke Internetseiten des Kiewer Verteidigungsministeriums und ukrainischer Staatsbanken lahm. Auch Kartenzahlungen funktionierten nicht mehr. Das Militär vermutete eine Überlastung der Webseiten durch eine Anfragenflut im Rahmen einer DDoS-Attacke.

Neben dem Ukraine-Konflikt wird das deutsch-russische Verhältnis auch von anderen Streitthemen belastet. Dazu gehört Moskaus Umgang mit dem Putin-Gegner Alexej Nawalny, der sich in Deutschland von einem Anschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok erholt hatte und anschließend in Russland zu Straflagerhaft verurteilt worden war. Gegen Nawalny begann ein neuer Prozess wegen Veruntreuung von Geldern seiner - inzwischen verbotenen - Stiftung und wegen Beleidigung einer Richterin. Nach Angaben seines Teams drohen ihm 15 Jahre Haft.

Streitthema Deutsche Welle versus Russia Today

Ein anderes Streitthema ist das Sendeverbot für die Deutsche Welle in Russland. Dazu sagte Putin knapp, bei seinem Gespräch mit Scholz sei vereinbart worden, «dass wir uns Gedanken machen, wie das Problem gelöst werden kann». Moskau hatte das Sendeverbot damit begründet, dass das deutschsprachige Programm des russischen Staatsmediums RT nicht in Deutschland ausgestrahlt werden dürfe.

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