Der Kaiser wurde in Straßburg nachts gestürzt. Freiwillige zogen nach Ende des Ersten Weltkriegs im November 1918 an einem Seil, bis das riesige Reiterstandbild des deutschen Kaisers Wilhelm. I. (1797 bis 1888) auf den Boden krachte.

Deutlicher ging es nicht: Die Herrschaft Berlins über das «Reichsland Elsass-Lothringen» war nach knapp einem halben Jahrhundert vorbei. Kurz darauf, am 22. November, zogen französische Truppen in die symbolträchtige Stadt unweit des Rheins ein, unter großem Jubel der Bevölkerung. In den Straßen und an Gebäuden wehte die Trikolore, die französische Nationalflagge.

100 Jahre nach Kriegsende wird der französische Staatschef Emmanuel Macron an diesem Sonntag (4. November) in die elsässische Metropole kommen. Der Europafreund will gemeinsam mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier ein Konzert im Straßburger Münster besuchen, auf dem Programm stehen Werke von Ludwig van Beethoven und Claude Debussy. «Das ist eine ganz wichtige Etappe», sagt ein Macron-Berater. Denn das Konzert sei auch der Rückgabe Elsass-Lothringens an Frankreich gewidmet.

Der «Grande Guerre» verwüstete ganze Landstriche

In Frankreich ist der häufig «Grande Guerre» (Großer Krieg) genannte Weltkrieg deutlich präsenter als in Deutschland. Der Grabenkrieg an der deutschen Westfront auf französischen Staatsgebiet verwüstete ganze Landstriche, viele Familien beklagten Tote und Verwundete. Schon vor genau einem Jahr hatten Macron und Steinmeier an das Massensterben von 1914 bis 1918 erinnert - und auf einem Vogesen-Gipfel in der Nähe von Colmar das erste deutsch-französische Museum zum Gedenken an die Millionen Toten eröffnet.

Der Waffenstillstand wurde am 11. November 1918 bei Compiègne nördlich von Paris unterschrieben. Deutsche Truppen mussten besetzte Gebiete räumen - und auch Elsass-Lothringen, innerhalb von 15 Tagen.

Im Elsass ist die Epoche nicht vergessen, denn sie bleibt heikel und umstritten. Eine Ausstellung im Straßburger Stadtarchiv über die Zeit von 1918 bis 1924 verschweigt nicht die Vertreibung von Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit - das war lange ein Tabuthema. 60 000 waren es gewesen, rund die Hälfte von ihnen verließ die Stadt von November 1918 bis Ende 1921, freiwillig oder auf Anweisung.

Straßburg gilt als Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung

«Das war ein wirklicher Aderlass», sagte der Historiker Franck Burckel vom Stadtarchiv der Deutschen Presse-Agentur. Diese «Säuberungspolitik» habe nicht nur kulturelle Eliten und die Universität betroffen, sondern auch Eisenbahner und Arbeiter.

Auch der Architekt Johann Knauth (1864 bis 1924), der sich geweigert hatte, die französische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Wie die Zeitschrift «Les Saisons d'Alsace» berichtet, trug der gebürtige Kölner dazu bei, die Straßburger Kathedrale mit einer verbesserten Anordnung der Fundamente vor dem Einsturz zu bewahren. Auch die Ausstellung im Archiv erinnert an Knauth.

Für die Region bedeutete das Ende des Ersten Weltkrieges nicht das Ende der Wirren. Die Eingliederung der von Frankreich zurückgewonnenen Provinzen gestaltete sich schwieriger als von vielen erwartet. 1940 wurde die Region erneut besetzt, dieses Mal von Nazideutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das vorher spürbare «elsässische Unbehagen» noch größer, die deutsche Sprache war verpönt. Inzwischen ist Straßburg ein Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung. Doch die Harmonie ist nicht ungetrübt - so gibt es seit langem Streit um das Alt-Atomkraftwerk Fessenheim südlich von Straßburg, das vor allem von Kritikern in Deutschland als ein Sicherheitsrisiko angeprangert wird.

Ein Gedenkmarathon durch elf Départements

Macron wird nach dem Konzert aber nicht nach Fessenheim fahren, sondern zu einem Gedenkmarathon aufbrechen, durch elf Départements im Osten und Norden seines Landes, zu markanten Orten des Weltkrieges, darunter Verdun und Reims.

Am 10. November will der Präsident dann in Compiègne Bundeskanzlerin Angela Merkel treffen, in der abgelegenen Waldlichtung, wo vor einem Jahrhundert zu früher Morgenstunde der Waffenstillstand in einem umgebauten Speisewagen unterschrieben wurde. Krönender Abschluss wird dann am 11. November ein Treffen von rund 60 Staats- und Regierungschefs im Schatten des Pariser Triumphbogens sein. «Frankreich hat einen besonderen Platz im Konzert der Nationen» - so lautet einem Macron-Berater zufolge ein Grund für diesen Aufwand.

Von Christian Böhmer, dpa

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