Brüssel/Berlin - Lange Genehmigungsverfahren, steigende Rohstoffkosten, billigere Turbinen aus dem Ausland und Inflation: Vieles macht der Windenergieindustrie in Europa derzeit zu schaffen. Um die EU-Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien bis 2030 zu erreichen, müssen bis zum Ende des Jahrzehnts deutlich mehr Windräder stehen - nach Angaben der EU-Kommission müssen die Kapazitäten mehr als verdoppelt werden. Um die Windkraft anzuschieben, sollen nach Willen der Brüsseler Behörde die Genehmigungsverfahren für Windräder stärker digitalisiert werden. Das ist nur eine Maßnahme des Pakets, das die Kommission bereits im Oktober in Brüssel vorgestellt hat. 

Wie steht es mit der Windkraft in der EU?

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nennt die Windindustrie der Staatengemeinschaft «eine europäische Erfolgsgeschichte», die derzeit aber vor «einer einzigartigen Mischung von Herausforderungen» stehe. Tatsächlich hinkt die EU beim Ausbau der Windkraft im globalen Vergleich hinterher, wie aus einer im August veröffentlichten Analyse der Denkfabrik Ember hervorgeht: Während weltweit von Januar bis Juni zehn Prozent mehr Energie aus Windkraft als im Vorjahreszeitraum erzeugt wurde, lag der Zuwachs in den EU-Ländern nur bei fünf Prozent.

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Bis 2030 sollen erneuerbare Energien 42,5 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs in der EU ausmachen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen nach Angaben der Kommission die Kapazitäten mehr als verdoppelt werden: Mehr als 500 Gigawatt installierte Turbinenleistung seien bis 2030 notwendig. Ende vergangenen Jahres waren den Angaben nach 204 Gigawatt installiert.

Diese interaktive Karte zeigt den Anteil der Windkraft am jeweiligen Energiemix in Prozent.

In Deutschland hat der Ausbau der erneuerbaren Energien in diesem Jahr Fahrt aufgenommen. In den ersten neun Monaten ging über 50 Prozent mehr Leistung durch neue Anlagen in Betrieb als im Vorjahreszeitraum. Bereits Ende September wurde der Wert des Jahreszubaus von 2022 übertroffen, wie aus vorläufigen Zahlen der "Fachagentur Windenergie an Land" hervorging. Zudem wurden auch deutlich mehr Windräder genehmigt.

Wo hapert es?

Dem Windindustrieverband WindEurope zufolge machen den Herstellern von Turbinen etwa hohe Rohstoffpreise und die Inflation zu schaffen, sagte Sprecher Christoph Zipf. Sorge bereite außerdem, dass immer mehr Produzenten aus dem Ausland, vor allem aus China, auf den europäischen Markt drängten.

Auch die langwierige Genehmigung von Windrädern und Windparks hemme den Ausbau, sagte Linda Kalcher von der Brüsseler Denkfabrik Strategic Perspectives. Von der Beantragung bis zum Bau von Windrädern dauert es europaweit mehrere Jahre. «Durch lange Genehmigungsprozesse kommt es nachher auch mit den kalkulierten Kosten nicht mehr hin», sagte sie.

Was will die Kommission nun machen?

Die Brüsseler Behörde will an verschiedenen Punkten ansetzen. Um die Genehmigungsprozesse zu beschleunigen, plant sie etwa noch bis Jahresende ein Online-Tool, das die Mitgliedstaaten bei Genehmigungsverfahren unterstützen soll. Es soll Antworten auf häufig gestellte praktische Fragen der Länder geben, die im Zusammenhang mit der Umsetzung der überarbeiteten Genehmigungsvorschriften aufkommen. Generell sollen die Verfahren den Plänen zufolge deutlich stärker digitalisiert werden.

Auch die Auktionsverfahren sollen verändert werden. In diesem Punkt sieht Zipf vom Industrieverband den größten Hebel: Bislang darf in der Regel derjenige Projektentwickler einen Windpark bauen, der bei einer Auktion den niedrigsten Preis bietet. Den Plänen der Kommission zufolge sollen künftig auch andere Faktoren berücksichtigt werden - etwa Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Lieferfähigkeit und Cybersicherheit.

Damit mehr Geld in den Ausbau fließen kann, will die Kommission den Zugang zu EU-Finanzmitteln erleichtern und ermutigt die Länder, im Rahmen der Möglichkeiten die Windkraftindustrie mit staatlichen Beihilfen zu unterstützen. Um sicherzustellen, dass der Windsektor unter gerechten Bedingungen arbeiten kann, will die Behörde außerdem mögliche unfaire Handelspraktiken überwachen, die ausländische Windkraftanlagenhersteller begünstigen könnten.

Angesichts der Pläne, den Windenergieausbau künftig weiter zu verstärken, müsse auch sichergestellt werden, dass genügend Arbeitskräfte in der EU verfügbar seien und sie über die richtigen Fähigkeiten verfügten, hieß es. Daher solle eine Akademie für den Windsektor die Länder bei der Weiterbildung und Umschulung von Arbeitnehmern unterstützen.

Wie viel bringt ein Aktionsplan der EU-Kommission?

Das Paket der Kommission ist kein neues Gesetz, daher gibt es auch keine neuen Verpflichtungen für die Länder. Kalcher hält es dennoch für einen richtigen und wichtigen Schritt - die Kommission mache den nationalen Regierungen Druck, die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und lasse dabei nicht locker.

Sarah Brown, Energieexpertin vom Thinktank Ember, sieht das ähnlich. Das Problem liege zwar auf Ebene der Mitgliedstaaten, die die Energiewende umsetzen müssen, es sei aber sehr wichtig, dass die Europäische Kommission die Richtung vorgebe. Ein übergreifender Plan sei dabei besonders wichtig. Diese Art von Strategien könnten eine «wirklich wertvolle Überbrückung sein, während die Dinge verabschiedet werden».

Wie fallen Reaktionen aus?

Der Aktionsplan adressiere wichtige Punkte für einen beschleunigten Ausbau der Windkraft, heißt es vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Wichtig sei etwa der Vorschlag, die europäischen Regeln für die Ausschreibung zu verbessern. «Es gilt jetzt, diese Punkte so schnell wie möglich umzusetzen», sagte Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae.

Der Verband kommunaler Unternehmen befürwortete das Maßnahmenpaket - beim Ausbau der Windkraft brauche Europa dringend einen «Turbo Booster», eigentlich sei er bereits überfällig. «Stadtwerke und kommunale Energieversorger begrüßen alle Punkte, die einen schnellen Ausbau der Windkraft unterstützen», sagte Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing.

Wie sind die Aussichten weltweit?

In ihrem Energieausblick vom 24. Oktober erwartetet die Internationale Energieagentur (IEA) für das Jahr 2030, dass der Anteil erneuerbarer Quellen bei der Stromerzeugung in der EU bei knapp 50 Prozent liegen wird. Derzeit sind es etwa 30 Prozent. Allein die Investitionen in Offshore-Windprojekte sollen dreimal höher liegen als in neue Kraftwerke, die mit Kohle oder Gas betrieben werden. Bei der weltweiten Energieerzeugung könnte nach Einschätzung der IEA der Höchstwert an CO2-Emissionen im Jahr 2025 erreicht sein.