Die USA torpedieren die türkische Wirtschaft mit Strafzöllen. Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht von «Kraftmeierei» und macht deutlich, dass er in der Auseinandersetzung um den in der Türkei inhaftierten US-Pastor Andrew Brunson notfalls zum Äußersten bereit sei. Staaten, die Frieden wollten, müssten bereit zu Krieg sein, sagt er. «Wir sind bereit, mit allem, was wir haben.»

Kriegsrhetorik zwischen zwei Nato-Bündnispartnern, die eigentlich zu gegenseitigem Schutz verpflichtet sind - hat es das überhaupt schon mal gegeben? Die Worte Erdogans zeigen, dass der Streit zwischen den USA und der Türkei aus dem Ruder gerät und weit mehr als wirtschaftlichen Schaden anrichten kann. Die Folgen betreffen nicht nur die beiden direkt beteiligten Länder.

Was bedeutet das Zerwürfnis...

...für die NATO?

Zieht es Erdogan sogar in Erwägung, sein Land wegen des Streits mit Trump aus der Nato zu führen? Wer ihn jüngst drohen hörte, «nach neuen Freunden und Verbündeten zu suchen», könnte durchaus auf diese Idee kommen. In der Bündniszentrale in Brüssel werden solche Sorgen allerdings nicht geteilt. Die Mitgliedschaft im stärksten Militärbündnis der Welt gilt als strategisch zu wichtig, um sie wegen des Streits mit einem einzelnen Mitgliedstaat einfach so aufzugeben - nicht zuletzt deswegen, weil sie gleichzeitig eine enge Anbindung an den Westen sichert.

Dementsprechend gelassen gibt sich auch das Team von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. «Es kommt vor, dass Nato-Verbündete Meinungsverschiedenheiten haben», sagte eine Sprecherin Anfang der Woche zu dem Streit. Was das Wesentliche angehe, hätten die Alliierten bislang aber immer Einigkeit demonstriert. Dazu gehörten der gegenseitige Schutz und das Zueinanderhalten.

In Bündniskreisen wird allerdings auch darauf verwiesen, dass die bereits 1952 zur Nato gestoßene Türkei zuletzt ein eher schwieriger Partner gewesen sei. So hat sie beispielsweise bei zahlreichen Alliierten für große Verärgerung gesorgt, weil sie ausgerechnet von Russland ein modernes Luftabwehrsystems (S-400) kaufen will.

...für die EUROPÄISCHE UNION?

Von der EU-Hauptstadt Brüssel aus wird mit großer Sorge auf den Konflikt geblickt - vor allem wegen der finanzpolitischen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Europäische Großbanken wie die BBVA (Spanien), Unicredit (Italien) oder BNP Paribas (Frankreich) sind stark in der Türkei engagiert und könnten deswegen auch von einem möglichen Zusammenbruch des türkischen Finanzsystems erheblich getroffen werden.

Dramatische Folgen könnte es für die EU zudem haben, wenn es in der Türkei zu Chaos kommt und infolgedessen der 2016 geschlossene Flüchtlingspakt mit der EU nicht mehr eingehalten werden würde. Dieser sieht vor, dass die EU alle Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückschicken kann. Im Gegenzug nehmen EU-Staaten der Türkei Schutzbedürftige aus Syrien ab und finanzieren Hilfen für in der Türkei lebende Flüchtlinge. Ihre Zahl wurde zuletzt mit rund 3,5 Millionen angegeben.

Dass sich die EU proaktiv als Vermittler in den Streit zwischen den USA und der Türkei einschaltet, gilt dennoch als unwahrscheinlich. Ein Grund dafür ist, dass die EU selbst eine spannungsgeladene Beziehung zur Türkei hat und deswegen sogar die EU-Beitrittsverhandlungen zum Stillstand gekommen sind. Zudem waren die EU-Staaten noch bis vor Kurzem selbst in einen schweren Handelskonflikt mit den USA verwickelt.

«Es wird die EU noch viel Zeit & Arbeit kosten, um den derzeitigen Waffenstillstand wieder in eine dauerhafte, stabile transatlantische Handelsbeziehung zu verwandeln», schrieb der Generalsekretär der EU-Kommission, Martin Selmayr, jüngst zum Thema. «Die Situation ist und bleibt fragil. Es gilt dicke Bretter zu bohren.»

... für die SYRIEN-KRISE?

Nirgendwo stehen sich US-amerikanische und türkische Truppen so unmittelbar gegenüber wie im Norden Syriens. Dort unterstützt Washington kurdische Verbände, die große Erfolge gegen die Terrormiliz IS erzielt haben. Sie kontrollieren ein Gebiet von Hunderten Kilometern entlang der Grenze.

Die Türkei sieht die Einheiten unter der Führung der Gruppe YPG an ihrer Grenze allerdings als syrischen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Zweimal marschierte sie mit protürkischen Rebellen bereits in den Nordwesten Syriens ein und eroberte kurdisch kontrolliertes Gebiet, zum Beispiel in Afrin.

Die Spannungen, die dadurch zwischen den USA und der Türkei entstanden, wurden erst im Juni mit einem gemeinsamen «Fahrplan» mühsam gekittet. Die Probleme in den bilateralen Beziehungen könnten diesen aber gefährden. Ein direkter militärischer Konflikt gilt aber als unwahrscheinlich.

Auch die diplomatischen Bemühungen für eine Gesamtlösung des Syrien-Konflikts werden durch den türkisch-amerikanischen Streit komplizierter. Für nachhaltige Lösungsansätze müssen neben den Russen und Türken auch die Amerikaner mit am Tisch sitzen. Erdogan hat zum nächsten Syriengipfel am 7. September aber nur Deutschland, Frankreich und Russland eingeladen, nicht aber die USA.

...für die DEUTSCH-TÜRKISCHEN BEZIEHUNGEN?

Es war eigentlich schon alles für einen Herbst der Entspannung in den deutsch-türkischen Beziehungen vorbereitet. Ende September kommt Erdogan zu seinem ersten Staatsbesuch nach Deutschland. Außenminister Heiko Maas plant noch davor seinen Antrittsbesuch in der Türkei. Wirtschaftsminister Peter Altmaier wird im Oktober in Ankara erwartet. Die Eskalation des Streits mit den USA trübt die Erwartungen an den gegenseitigen Besuchsreigen zunächst einmal ein.

Deutschland hat seit zwei Jahren ein ähnliches Problem mit der Türkei wie die USA. Seit dem gescheiterten Putschversuch 2016 wurden mehr als 30 deutsche Staatsbürger in der Türkei inhaftiert, denen ähnliche Terrorvorwürfe wie dem US-Pastor Brunson gemacht wurden. Davon sitzen nach offiziellen Angaben sieben bis heute hinter Gittern.

Deswegen stellte sich Außenminister Maas in dem Streit auch auf die Seite der USA und forderte indirekt eine Freilassung Brunsons - wie auch der inhaftierten deutschen Häftlinge. «Das würde die Lösung der wirtschaftlichen Probleme, die es gibt, ganz erheblich vereinfachen», sagt der SPD-Politiker an die Adresse der türkischen Regierung.

Erdogan dürfte das kaum gefallen. Andererseits sind die Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland und der EU für ihn enorm wichtig - gerade in der jetzigen Krisenlage. Er dürfte also an einem möglichst harmonischen Staatsbesuch interessiert sein.

Von Ansgar Haase, Michael Fischer und Benno Schwinghammer

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