Brüssel - Mehr Demokratie in der Europäischen Union, eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050, eine «Armee der Europäer»: Ursula von der Leyen hat erstmals ihre Ziele für den Fall ihrer Wahl zur Präsidentin der EU-Kommission präsentiert. Dabei skizzierte sie Pläne für die Klima-, Migrations- und Sicherheitspolitik und betonte den Einsatz für Grundwerte und den Rechtsstaat. Drastische Kurswechsel zur Politik der vergangenen Jahre sind nicht erkennbar.

Die CDU-Politikerin war in der vergangenen Woche überraschend von den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union für die Nachfolge von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nominiert worden. In der Position würde sie die großen Linien und Prioritäten der EU mitbestimmen. Sie wäre Chefin von mehr als 30 000 Mitarbeitern in der Kommission, die auch für die Einhaltung von EU-Recht zuständig ist.

Das Europaparlament stimmt voraussichtlich am kommenden Dienstag über die Personalie ab. Da die Mehrheit noch nicht sicher ist, wirbt von der Leyen um die Unterstützung der Abgeordneten der großen Fraktionen. Die Liberalen übertrugen ihr Treffen mit der Kandidatin live.

Klimaschutz und Migration

Beim Klimaschutz kündigte von der Leyen an, Klimaneutralität zu einem ihrer Hauptziele machen zu wollen. Dies bedeutet, Emissionen drastisch zurückzufahren und den Rest auszugleichen, etwa durch Aufforstung oder Speicherung. Die EU-Staaten hatten sich zuletzt nicht auf Klimaneutralität bis 2050 einigen können. Für die Zeit bis 2030 forderte sie mehr Ehrgeiz, legte sich aber nicht weiter fest.

In Sachen Migration will von der Leyen sich für gemeinsame Regeln bei Asyl und Einwanderung starkmachen. Es müsse übergreifende Regeln dafür geben, wer Anspruch auf Asyl in der EU habe und wer nicht, sagte sie.

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Asylsuchende in der EU (Gesamtzahlen der Erst- und Folgeanträge 2018 und ihre Verteilung auf die Länder).

«Armee der Europäer», Erweiterung der Eurozone und Brexit

Sie sprach sich außerdem dafür aus, Pläne für eine «Armee der Europäer» voranzutreiben. Mit Blick auf die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sagte sie: «Ich glaube, es ist Zeit, dass Europa mehr Verantwortung übernimmt.» In der Außenpolitik will sie, dass künftig Entscheidungen im Rat der EU-Staaten nicht nur einstimmig getroffen werden können. So soll die EU im Krisenfall schneller reagieren können.

Die Eurozone und die kontrollfreie Schengenzone sollten aus Sicht der Kandidatin weitere EU-Staaten aufnehmen, sobald sie die Bedingungen dafür erfüllen. Sie plädierte zudem dafür, die Tür der EU für Länder in Osteuropa und auf dem Westbalkan offen zu halten. Speziell Nordmazedonien bezeichnete von der Leyen als leuchtendes Beispiel. «Ich bin überzeugt, dass wir den Westbalkan viel ernster nehmen müssen», sagte sie.

Den vorliegenden Brexit-Vertrag mit Großbritannien nannte von der Leyen gut. Wichtig sei, dass die Briten sich nun sortierten. Zugleich sagte sie, sie hoffe immer noch auf den Verbleib der Briten in der EU. Falls es dennoch zum britischen EU-Austritt komme, sei eine gute Beziehung zwischen Großbritannien und der Staatengemeinschaft entscheidend. Sie betonte auch die Bedeutung einer offenen Grenze zwischen Irland und Nordirland. Der Brexit musste bereits zwei Mal verschoben werden, weil das Parlament den Vertrag nicht annehmen wollte aber auch gegen ein Ausscheiden ohne Abkommen war. Neuer Termin ist nun Ende Oktober.

Von der Leyens Kandidatur stößt auch auf Widerstand

In Teilen des Parlaments gibt es Widerstand gegen die Wahl von der Leyens. Dies liegt vor allem daran, dass sie nicht als Spitzenkandidatin ihrer Partei im Europawahlkampf angetreten war. Eine Mehrheit des Europaparlaments hatte sich eigentlich darauf festgelegt, nur einen Spitzenkandidaten zu wählen. Von der Leyen kündigte nun an, sich für ein neues Spitzenkandidatenmodell starkmachen zu wollen. Es brauche ein Modell, dass sowohl vom Parlament als auch von den Staats- und Regierungschefs akzeptiert werde.

Darüber hinaus unterstützte sie die Forderung der Liberalen nach einer Demokratie-Konferenz zur Reform der EU. Sie sprach von breit angelegten Bürgerdialogen, die in konkrete Gesetze münden sollen.

Die Liberalen legten sich noch nicht fest, ob sie für von der Leyen stimmen wollen. Dies hänge davon ab, ob von der Leyen ihre Forderungen aufnehme, sagte Fraktionschef Dacian Ciolos. Auch die Sozialdemokraten hielten sich ihre Zustimmung für die CDU-Politikerin weiter offen.

«Unsere Gruppe wird erneut über die Wahl beraten. Wir werden nächste Woche eine Entscheidung treffen», kündigte Fraktionschefin Iratxe García Pérez nach ihrem Treffen mit von der Leyen an. Auch die Sozialdemokraten haben demnach konkrete Forderungen gestellt. Welche genau, sagte sie nicht. Vor allem die 16 deutschen SPD-Abgeordneten im Europaparlament lehnten die Wahl von der Leyens bislang ab.

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