Eigentlich hatte niemand mehr damit gerechnet, dass in der europäischen Asylpolitik bis zum EU-Gipfel Ende des Monats noch was Substanzielles passiert. Die italienische Blockade-Haltung um das Rettungsschiff «Aquarius» und der sogenannte Masterplan Migration von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bescheren der Debatte allerdings neue Dringlichkeit. Ist dadurch auch Fortschritt auf europäischer Ebene in Sicht? Fragen und Antworten im Überblick:

Innenminister Horst Seehofer will Flüchtlinge an der Grenze abweisen, Italien verweigert einem Rettungsboot die Hafeneinfahrt - was bedeutet das für die festgefahrene Reform der europäischen Asylpolitik?

Die nationalen Alleingänge setzen die Staatengemeinschaft mächtig unter Druck - und machen den Stillstand der europäischen Asylreform offensichtlich. Seit fast zwei Jahren kommen die 28 EU-Staaten nicht wirklich voran. Bis zum Treffen der Staats- und Regierungschefs Ende des Monats sollte eigentlich eine gemeinsame Haltung gefunden werden. Anstatt einander anzunähern, werden die Gräben zwischen den einzelnen Ländern allerdings immer größer.

Warum ist eine europäische Einigung bei diesem Thema so schwierig?

Derzeit gilt in der EU die sogenannte Dublin-Verordnung. Demnach ist jener Staat für einen Migranten zuständig ist, in dem dieser erstmals EU-Boden betreten hat. Länder an den europäischen Außengrenzen wie Italien, Griechenland, Spanien oder Malta pochen seit langem auf mehr Solidarität und fordern eine verpflichtende Umverteilung von Migranten auf alle EU-Länder. Auch Deutschland setzt sich für eine solche Quote ein. Auf der anderen Seite stehen konsequente Verweigerer: Vor allem die rechten und nationalkonservativen Regierungen in Ungarn und Polen wehren sich gegen die verbindliche Aufnahme von Flüchtlingen. Und auch Österreich, das im Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, macht gegen jede Form von verpflichtender Umverteilung mobil. Eine mögliche Umverteilung nach Quoten hat Europa längst gespalten.

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Asylsuchende in Deutschland, Anträge und Hauptherkuntsländer 2016 und 2017.

Muss das Thema denn unbedingt im Konsens entschieden werden?

Eigentlich nicht. Theoretisch könnten die Quotengegner von den anderen Ländern überstimmt werden. Die EU-Kommission und ein Großteil der Staaten wollen dieses heikle Thema aber einstimmig entscheiden. «Wir sollten Migration nicht zu einem spaltenden Element unter uns machen», sagte jüngst EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Deshalb lehnt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen deutschen Alleingang wie von Innenminister Seehofer vehement ab. Ihr liege daran, diese Frage «europaeinheitlich zu beantworten», sagte sie zuletzt. Das Problem habe das Potenzial, «Europa schweren Schaden zuzufügen».

Ist eine europäische Lösung überhaupt in Sicht? Und wie könnte sie aussehen?

Der kleinste gemeinsame Nenner ist der Ruf nach mehr Schutz gegen illegale Migration an den EU-Außengrenzen. An dieser Stelle hat die europäische Einigkeit aber schon ein Ende. Die bulgarische Ratspräsidentschaft schlug zuletzt ein dreistufiges Kompromissmodell vor, das bei besonders starkem Zustrom von Flüchtlingen eine verpflichtende Umverteilung vorsieht. Die Hälfte aller zugewiesenen Schutzsuchenden könnte ein Land dann noch durch andere Beiträge - etwa Extrazahlungen - abwenden. Dieser Vorschlag war beim Treffen der EU-Innenminister zuletzt allerdings krachend gescheitert. Österreich kündigte an, beim nächsten Treffen Mitte Juli neue Vorschläge vorzulegen - ohne Quote.

Die EU will mehr Grenzschutz - ist das Verhalten der neuen italienischen Regierung also ganz in ihrem Sinne?

An anderen Stellen ist Europa längst abgeriegelt. Ungarn etwa hat seine Grenzen zu Serbien und Kroatien dicht gemacht. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat den Schutz der Außengrenzen kürzlich sogar zur Schicksalsfrage der EU erklärt. Auf dem Mittelmeer wird das Scheitern der europäischen Asylpolitik aber offensichtlicher als an den ungarischen Grenzen. Die Kritik für die italienische Aktion kam prompt: Der französische Regierungssprecher Benjamin Griveaux sprach vom «Beweis einer Form von Zynismus und einer gewissen Verantwortungslosigkeit der italienischen Regierung».

Was ist aus der Idee einer «flexiblen Solidarität» geworden?

Keine Flüchtlinge aufnehmen, dafür mehr für den Außengrenzschutz zahlen - so würden Länder wie Ungarn und Polen am liebsten verfahren. Ins Spiel gebracht hatte die Idee der «flexiblen Solidarität» bereits 2016 die Slowakei, die damals den Vorsitz der EU-Staaten hatte. Befriedet hat es den Konflikt allerdings nicht. Und auch heute werden die Befürworter kaum damit durchkommen. Denn kein Land soll sich komplett von der Flüchtlingsaufnahme freikaufen können, darin sind sich viele EU-Staaten einig. Die Bereitschaft, Quoten-Verweigerern entgegenzukommen, ist aber durchaus da. Im Interview der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» sprach sich Merkel zuletzt für ein «flexibles System der Aufgabenverteilung» aus. Sie habe die Hoffnung, «dass wir mit hoher Flexibilität die derzeitige Blockade in der europäischen Asylpolitik überwinden können».

Kommt nun Bewegung in den festgefahrenen Konflikt?

Österreichs Kanzler Kurz setzt im Kampf gegen illegale Migration auf eine «Achse der Willigen», wie er am Mittwoch nach einem Treffen mit Seehofer in Berlin sagte. In diesem Zusammenhang nannte er in erster Linie Rom, Wien und Berlin. Merkel reagierte auf diesen Vorstoß jedoch skeptisch und betonte, es gehe um eine gesamteuropäische Lösung. Ohnehin sollte dies nicht darüber hinweg täuschen, dass Österreich und Italien in der entscheidenden Frage einer möglichen Quotenverteilung himmelweit voneinander entfernt sind. Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte forderte zuletzt «die Überwindung der Dublin-Regeln». Migranten müssten gleichmäßig und automatisch auf die EU-Länder verteilt werden.

Von Michel Winde

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