Rom - Dieses Mal muss es vor allem mehr Vorräte geben. Denn wer weiß, wie lange man auf dem Meer bleiben muss. Das Flüchtlingsrettungsschiff «Aquarius» sticht wieder in See. Aber ob sie in internationalen Gewässern vor Libyen wieder Migranten aufnehmen und diese auch in einen europäischen Hafen bringen kann, ist so ungewiss wie nie zuvor.

«Wir wissen nicht, was uns im Mittelmeer erwartet. Die Lage ist sehr unübersichtlich», sagte die Sprecherin von SOS Méditerranée, Jana Ciernioch, vor der für Mittwochabend geplanten Abfahrt des Schiffs vom südfranzösischen Marseille aus. Der letzte Einsatz hat die Helfer tief verunsichert: Nach einer mehrtägigen Blockade auf dem Meer mit Hunderten geretteter Migranten endete dieser nicht wie immer in Italien, sondern im weit entfernten spanischen Valencia. Eine Odyssee für Retter und Gerettete.

Nun kommt noch eine Unbekannte mehr hinzu: Ende Juni richteten libysche Behörden eine eigene Such- und Rettungszone ein. Sie erstreckt sich nicht nur auf nationale Gewässer des Bürgerkriegslandes, sondern auch auf internationale Gewässer vor der libyschen Seegrenze. In der üblichen Einsatzzone der privaten Seenotretter hat den Hut nun eine Rettungsleitstelle in Tripolis auf, die am dortigen Flughafen angesiedelt ist. An einem Ort, der vom Bürgerkrieg zeugt: Auf Satellitenbildern sind vor allem schweres Kriegsgerät und zerstörte Flugzeuge zu sehen. Muss die «Aquarius» das nächste Mal unter dem Kommando der Libyer retten?

Alles begann mit der Beschlagnahmung des Schiffs «Iuventa»

Die Einrichtung der Rettungszone ist nur eine von zahlreichen Entwicklungen, die vor einem Jahr ihren Lauf nahmen. Alles begann mit der Beschlagnahme des Schiffs «Iuventa» der deutschen Organisation Jugend Rettet am 2. August, das noch immer auf Sizilien vor Anker liegt. Es folgte ein neues Regelwerk für die Helfer, die sich von der damaligen Regierung in Rom kriminalisiert fühlten.

Mittlerweile ermittelt die italienische Justiz auch gegen Crewmitglieder von Jugend Rettet und Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen und Save the Children. Auf Malta läuft ein Prozess gegen den Kapitän des Schiffs «Lifeline» von der Dresdner Hilfsorganisation Mission Lifeline. Die neue italienische Regierung verwehrt Rettungsschiffen die Einfahrt in ihre Häfen. Neben der «Aquarius» ist nur noch die «Open Arms» einer spanische Hilfsorganisation im Einsatz. Vor einem Jahr waren es noch mehr als ein Dutzend private Rettungsschiffe, die Abertausende Migranten von Booten retteten und nach Italien brachten.

Die Einrichtung der libyschen SAR-Zone sorge nun für noch mehr Verwirrung, als derzeit ohnehin herrsche, sagt Flavio Di Giacomo von der Internationalen Organisation für Migration. Dass die Libyer im Fall einer Rettung für die Zuweisung eines Hafens zuständig seien, sei höchst widersprüchlich. Schiffe müssten den Anweisungen der Libyer Folge leisten. «Aber alle sind sich einig, dass Libyen kein sicherer Hafen ist, auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und die Vereinten Nationen sagen das immer wieder», sagt Di Giacomo. Die Befolgung internationalen Rechts müsse oberste Priorität haben.

EU-Schiffe dürfen gerettete Migranten nicht nach Libyen bringen

Am Dienstag hatte der Fall eines italienischen Versorgungsschiffs für Aufsehen gesorgt, das mehr als 100 Migranten nach Libyen zurückgebracht hat. Der Rettungseinsatz soll von dort aus koordiniert worden sein. Laut EU-Kommission dürfen EU-Schiffe gerettete Migranten nicht nach Libyen bringen - selbst dann nicht, wenn der Rettungseinsatz in dem Meeresgebiet erfolgt, für das Libyen seine Zuständigkeit beansprucht. Im Zweifelsfall müssten sich Schiffskapitäne Anweisungen der libyschen Küstenwache widersetzen und selbst nach einem sicheren Hafen suchen.

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Flucht über das Mittelmeer

Ein «sicherer Hafen» ist ein Ort, an dem eine gerettete Person keine Menschenrechtsverletzungen fürchten muss. Doch im zerrütteten Libyen ist Gewalt an der Tagesordnung. Wer dorthin zurück gebracht wird, kommt in Gefangenenlager. Auch Kinder werden an Orte gebracht, an denen die Zustände desaströs sind.

Nichtsdestotrotz deutet alles daraufhin, dass die Libyer eine so große Rolle wie möglich bei der Seenotrettung übernehmen sollen. Sie können die Menschen zurück in das Bürgerkriegsland bringen. Schon seit Monaten nimmt die Zahl der Ankömmlinge in Europa deshalb drastisch ab. Nach Italien kommen nur noch verschwindend wenige Migranten: 1815 waren es im Juli, im Juli des Vorjahres 23 552.

Eine Rekordzahl an Toten im Mittelmeer

Von diesem Trend profitiert vor allem Italiens Innenminister Matteo Salvini, obwohl bisher das Gegenteil seines Mottos «Weniger Anlandungen, weniger Tote» eingetreten ist. Die IOM vermeldete eine Rekordzahl an Toten im Mittelmeer für einen Juni. «Die Zahlen der IOM zeigen, dass die Abwesenheit der NGOs das Mittelmeer nicht sicherer gemacht hat, ganz im Gegenteil», schreibt die katholische Zeitung «Avvenire». In Europa ist zum breiten Konsens geworden, dass die NGOs von den libyschen Schleppern mit einkalkuliert werden. Deshalb wird ihr langsames Verschwinden ohne großen Protest hingenommen.

Die Schlepper reagieren auf die Veränderungen auf der zentralen Mittelmeerroute und schicken die Migranten nun vermehrt über das westliche Mittelmeer nach Spanien, wo mittlerweile mehr Menschen ankommen, als in Italien. Fast täglich bringen Seenotretter aus Spanien Flüchtlinge an die Costa de la Luz. Auch der Wille der Retter von der «Aquarius» ist ungebrochen. «Wir sind eins von zwei Schiffen, auf die es jetzt ankommt», sagt Ciernioch. Und eins ist sicher: «Wir werden die Menschen niemals nach Libyen zurückbringen.»

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