Minsk (dpa) - Nach der von blutigen Protesten überschatteten Präsidentenwahl in Belarus (Weißrussland) klammert sich Staatschef Alexander Lukaschenko an die Macht. «Wir werden unser Land nicht zerreißen lassen», sagte er am Montag Staatsmedien zufolge. Zuvor hatte die Wahlkommission dem 65-Jährigen den Sieg zugesprochen, er soll auf 80,08 Prozent der Stimmen gekommen sein. Die Opposition sprach dagegen von beispielloser Wahlfälschung. Sie erkennt das Ergebnis nicht an und bereitet eine neue Protestwelle vor.

Maas spricht von «herbem Rückschlag»

Dem Land drohen nun auch neue Sanktionen der EU. Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte, die Hoffnungen auf mehr Rechtsstaatlichkeit in Belarus hätten mit der Wahl «mehr als nur einen herben Rückschlag erlitten». Von freien Wahlen sei wirklich überhaupt nichts zu erkennen gewesen. «Stattdessen haben wir Gewalt, Einschüchterung und Verhaftung mit bezeugen müssen.» Bei denen wegen erster Schritte hin zu mehr Rechtsstaatlichkeit aufgehobenen EU-Sanktionen müsse man prüfen, «ob das im Lichte der vergangenen Wochen und der vergangen Tage noch Gültigkeit besitzen kann».

Die EU hatte zuletzt im Februar 2016 ungeachtet der Kritik von Menschenrechtlern zahlreiche Sanktionen gegen den Machtapparat von Lukaschenko auslaufen lassen. Lediglich ein bestehendes Waffenembargo sowie Strafmaßnahmen gegen vier Weißrussen, die am Verschwinden von Regime-Gegnern beteiligt sein sollen, wurden zuletzt noch aufrechterhalten. Für Lukaschenko, 169 Gefolgsleute sowie drei Unternehmen bedeutete die EU-Entscheidung damals, dass von ihnen vorhandene Vermögen in der EU nicht mehr gesperrt werden konnten. Zudem wurden für sie sämtliche Reise- und Geschäftsbeschränkungen aufgehoben.

Als einen Grund für die Lockerung der Sanktionen nannte die EU damals die Freilassung politischer Gefangener sowie die gewaltfrei verlaufene Präsidentenwahl im Jahr 2015. Es lohne sich in einer solchen Situation zu testen, wie viel Bereitschaft zum Entgegenkommen von weißrussischer Seite da sei, kommentierte seinerzeit der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.

Die Proteste bei dieser Wahl begannen landesweit nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend. Sie waren die schwersten, die das Land je gesehen hat. Sicherheitskräfte setzten Wasserwerfer, Tränengas und Blendgranaten ein. Maskierte Sicherheitskräfte schleppten Menschen in Busse und schlugen auf Demonstranten ein. Das Innenministerium sprach von mehr als 3000 Festnahmen und fast 100 Verletzten auf beiden Seiten - bei den Sicherheitsorganen und bei den Bürgern. Es soll auch einen Toten unter den Demonstranten geben. Die Behörden weisen dies aber zurück.

Lukaschenko gibt Ausland die Schuld

Lukaschenko machte das Ausland für die Proteste verantwortlich. Es habe Aufrufe dazu aus Polen, Russland und Tschechien gegeben, meinte er. Hinter den Drahtziehern müssten aber nicht zwingend staatliche Strukturen stehen. Er drohte mit dem Einsatz der Armee. «Es wird keinen Maidan geben, egal wie sehr jemand das will.» Der Präsident hatte mehrfach vor einer Revolution und Zuständen wie 2014 auf dem «Maidan» gewarnt, dem Unabhängigkeitsplatz von Kiew im Nachbarland Ukraine.

Lukaschenkos Gegnerin, Swetlana Tichanowskaja, warf dem Langzeitpräsidenten vor, sich nach mehr als 26 Jahren an der Macht mit Gewalt eine sechste Amtszeit sichern zu wollen. Ihr Wahlkampfstab geht davon aus, dass sie zwischen 70 und 80 Prozent der Stimmen errungen hat. Der Stab veröffentlichte dazu einzelne Protokolle aus Wahllokalen, in denen ehrlich ausgezählt worden sein soll. Der staatlichen Wahlkommission zufolge soll Tichanowskaja gerade einmal zehn Prozent erhalten haben. Das Ergebnis will sie nicht anerkennen.

Die Wahlbeteiligung in der zwischen dem EU-Mitglied Polen und Russland gelegenen Ex-Sowjetrepublik betrug nach Angaben der Behörden bei 84 Prozent. Etwa 6,8 Millionen Wahlberechtigte waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Insgesamt traten fünf Kandidaten an.

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Die Wahlergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Belarus seit 1994.

Lukaschenko will nach mehr als einem Vierteljahrhundert an der Macht in eine sechste Amtszeit gehen. Bereits in den vergangenen Wochen kündigte sich jedoch eine Protestwelle an. Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa waren bei der Abstimmung diesmal nicht dabei.

In sozialen Medien gab es immer wieder Berichte von vorausgefüllten Stimmzetteln. Außerdem seien Protokolle falsch ausgestellt worden. Unabhängige Beobachter aus Belarus zählten demnach weniger oder mehr Wähler in einem Wahllokal, als offiziell angegeben worden sei. Der Menschenrechtsorganisation Wesna zufolge sollen Wehrpflichtige oder Angestellte von Staatsfirmen zur Abstimmung gezwungen worden sein.

Kremlchef Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping waren die ersten, die Lukaschenko zum Wahlsieg gratulierten. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden benachbarten «Brudervölkern» solle gestärkt werden, sagte Putin nach Kreml-Angaben. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern waren zuletzt angespannt, weil Lukaschenko mehrere Russen wegen eines angeblichen Umsturzversuches festnehmen ließ.

EU kritisiert Gewalt durch Sicherheitskräfte

Kritik kam von der EU. Ratspräsident Charles Michel verurteilte das Einschreiten von Sicherheitskräften scharf. EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte: «Wir werden die Entwicklungen weiterhin sehr genau verfolgen, um dann zu beurteilen, wie eine Antwort und die Beziehungen der EU zu Belarus auszugestalten sind.»,

Die Nachbarländer von Belarus, Polen und Litauen, forderten Minsk zum Gewaltverzicht auf. Nach Einschätzung der Bundesregierung in Berlin wurden die Mindeststandards für demokratische Wahlen nicht eingehalten. Verurteilt werde auch Gewalt gegen friedlich demonstrierende Bürger und die Festnahme von Journalisten, hieß es.

SPD-Außenexperte Nils Schmid betonte, dass die Regierung in Minsk nun auf die Bevölkerung zugehen müsse und freie und demokratische Wahlen vorbereiten solle.

Grünen-Chef Robert Habeck forderte neue Sanktionen gegen Verantwortliche und Härte gegen Lukaschenko: «Er ist ein Diktator, und er unterdrückt seine Bevölkerung, und entsprechend hart sollte auch agiert werden ihm gegenüber.» Zu freien und fairen Wahlen komme man nicht, indem man ihm die Hand noch halb hinhalte. Die FDP im Bundestag verlangte von der internationalen Gemeinschaft ein Zeichen.

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