Brüssel - Ein halbes Jahr hatte Michel Barnier zum Warmlaufen, jetzt beginnt der Marathon für den Brexit-Unterhändler der Europäischen Union. Dabei muss der ehemalige französische Minister und EU-Kommissar weit hinaus auf unbekanntes Terrain. Erstmals will ein Staat die Gemeinschaft verlassen, und Barnier soll für die übrigen 27 Länder im Scheidungsverfahren den besten Deal herausholen.

Es gibt kein Vorbild, keine Erfahrung, kein Muster, es gibt nur einen Wust von Fallstricken und Interessen. «Das ist kein Business as Usual, das ist eine außergewöhnliche Situation, und es wird schwerwiegende Konsequenzen geben», sagt Barnier.

Bei den Vorbereitungen auf die Verhandlungen mit Großbritannien scheint Barnier die Ruhe selbst, aber er macht für die EU eine klare Ansage: «Wir werden entschieden sein, wir werden freundlich sein, wir werden niemals naiv sein.»

Genauso silbergrau, kühl und gefasst hatte der Unterhändler schon im Dezember 2016 seinen Plan für die Verhandlungen skizziert: 18 Monate, bis Herbst 2018 soll er dauern. Erst kommt die Trennung des gemeinsamen Hausstands, danach kann man die künftigen Beziehungen klären. Und dann die klare Ansage an die Briten: Ein Drittland kann nie dieselben Vorteile der EU genießen wie ein Mitglied. Paff. «Wir sind bereit», raunte er schon damals in seinem stark französisch gefärbten Englisch und kaperte ausgerechnet die berühmte britische Durchhalteparole: «Keep calm and negotiate.»

Eher aufgescheucht reagierten viele Briten, als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Franzosen kurz nach dem Brexit-Votum 2016 zum Unterhändler erkor. Ausgerechnet Barnier, der elitäre Unternehmersohn, der französische Karrierepolitiker, der «Eurokrat». «Das ist Junckers Rache an Großbritannien», sagte ein nicht genannter Banker damals der «Financial Times». «Ich wüsste nicht, was schlimmer sein könnte.» Von Provokation war die Rede und sogar von einer Kriegserklärung.

Denn während seiner Zeit als EU-Kommissar ging Barnier der britischen Finanzbranche gehörig auf die Nerven. Nach einer ersten Amtsperiode als Kommissar für Regionalpolitik von 1999 bis 2004 kehrte der Wirtschaftsexperte 2010 mit dem Portfolio Binnenmarkt und Dienstleistungen in die Brüsseler Machtzentrale zurück. Es war die Zeit der großen Finanzkrise, und Barnier profilierte sich als Bankenregulierer. Die City of London erboste er unter anderem mit einem Vorstoß zur Deckelung von Bonus-Zahlungen.

Mit seinem britischen Widerpart, dem Brexit-Minister David Davis, soll Barnier eine seit Jahrzehnten kultivierte Abneigung verbinden – auch wenn beide konservativen Parteien entstammen und ähnlich lange im Politikbetrieb Karriere machten. Der Franzose, geboren 1951 nahe Grenoble, begann seine Karriere schon 1976 als Neogaullist in Savoyen. Vier Mal war er seit 1993 französischer Minister. In Brüssel absolvierte er zwischen seinen Amtszeiten als Kommissar kurze Etappen im EU-Parlament und als Vizepräsident der konservativen Europäischen Volkspartei.

Ideologisch war der Vater dreier Kinder aber nie so festgelegt, dass ihn nicht auch der Sozialist François Hollande als loyalen Verbündeten sehen könnte. «In Brüssel hat er einen starken Ruf, er ist sehr bekannt und verfügt über ein dichtes Netzwerk, das weit über die Konservativen hinausgeht», bemerkte Hollandes Europaberater Philippe Léglise-Costa im Magazin der französischen Zeitung «Le Monde». Tatsächlich zollen ihm im Brüssel auch jene Respekt, die ihm politisch nicht besonders nahe stehen.

Sein Netzwerk und seine Erfahrung nutzt Barnier jetzt. Im Dezember sprachen sich die EU-Staats- und Regierungschefs grundsätzlich dafür aus, dass Junckers Mann auch im Namen der Mitgliedsstaaten spricht. Die vergangenen Wochen eilte er kreuz und quer durch Europa, um sich abzustimmen und mit den 27 bleibenden EU-Ländern die Verhandlungslinie festzuzurren.

Sein Twitterkonto ist das Logbuch dieser Reisediplomatie. Mal zeigt er sich mit dem lettischen Regierungschef, mal mit irischen Abgeordneten, mal mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil. Die Botschaft, die er setzen will, ist klar: Hier ist ein Profi am Werk und ein Mann mit Rückendeckung - Europa zieht an einem Strang.

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