Berlin - Bundeskanzlerin Angela Merkel will Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um Europa gestärkt aus der Corona-Krise zu führen. «Wir müssen einerseits die Folgen der Krise bewältigen, aber zugleich auch Europa widerstandsfähiger und zukunftsfähiger machen», sagte sie im Bundestag in einer Regierungserklärung. Die Ratspräsidentschaft geht am 1. Juli für ein halbes Jahr auf Deutschland über. «Wir übernehmen diese Verantwortung in einer Zeit, in der die Europäische Union der größten Herausforderung ihrer Geschichte gegenübersteht», sagte Merkel, die sich überzeugt zeigte, dass Europa diese Aufgabe bewältigen könne.

Die Kanzlerin verteidigte den geplanten milliardenschweren EU-Wiederaufbaufonds zur Bewältigung der Folgen der Pandemie als Mittel gegen Radikale und Spaltung in Europa. «Wir dürfen nicht naiv sein: Die antidemokratischen Kräfte, die radikalen, autoritären Bewegungen, warten ja nur auf ökonomische Krisen, um sie dann politisch zu missbrauchen», warnte sie. In der Debatte drang die FDP darauf, den Wiederaufbau in der EU für Strukturreformen zu nutzen. Die Grünen verlangten, ein Schwergewicht der Ratspräsidentschaft auf den Klimawandel zu legen, die Linke forderte mehr Solidarität mit den Schwächsten in der EU ein. Die AfD kritisierte die zusätzlichen Milliarden-Belastungen Deutschlands, das selbst hart von der Krise getroffen sei.

Die Krise für Reformen nutzen

«Die Pandemie zeigt uns: Unser Europa ist verwundbar», betonte die Kanzlerin. Deshalb seien Zusammenhalt und Solidarität noch nie so wichtig wie heute gewesen. «Gemeinsam Europa wieder stark machen, das genau ist das Motto der deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Dafür wird sich Deutschland, dafür wird sich die Bundesregierung, dafür werde ich mich mit aller Kraft und Leidenschaft in unserer deutschen Ratspräsidentschaft einsetzen.» Merkel räumte ein, dass sich Europa zu Beginn der Krise «unvernünftig» verhalten habe: «Die ersten Reflexe, auch unsere eigenen, waren eher national und nicht durchgehend europäisch.» Auch aus Merkels Sicht muss Europa die Krise nutzen, um wichtige Reformen voranzubringen. Wie es die Krise bewältige, werde über den Wohlstand seiner Bürger und seine Rolle in der Welt entscheiden. Zugleich befinde sich Europa in einem tiefgreifenden Umbruch. Merkel verwies auf Klimawandel und Digitalisierung. Die Antwort dürfe keine Rückkehr zur Vergangenheit sein, «sondern muss den Wandel in ein neues Arbeiten und Wirtschaften stärken und beschleunigen».

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 Sitzverteilung nach dem Brexit

Davon hänge es ab, ob es anschließend in Europa noch kreative und wettbewerbsfähige Unternehmen und nachhaltig gesicherte Arbeitsplätze gebe, sagte Merkel. «Und wir wissen, dass Andere in der Welt nicht ruhen, sondern sehr entschlossen und sehr robust handeln.» Die Kanzlerin und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten einen Hilfsfonds in Höhe von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen. Kritiker in der EU wie Österreich und Dänemark lehnen einen solchen Fonds ab, weil das Geld in Form von nicht zurückzuzahlenden Zuschüssen vergeben werden soll. Die EU-Kommission präsentierte anschließend einen Wiederaufbauplan im Wert von 750 Milliarden Euro. Dieser soll auf Kredit finanziert und bis 2058 abbezahlt werden.

Klimaschutzziel nicht aus den Augen verlieren

Merkel sagte, sie werde sich für eine möglichst schnelle Einigung - am besten noch vor der Sommerpause - über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU und den Wiederaufbaufonds einsetzen. FDP-Chef Christian Lindner mahnte ebenfalls konkrete Strukturreformen beim Wiederaufbau in Europa an. «Das Geld darf nicht eingesetzt werden, um Strukturdefizite erneut mit Geld zuzuschütten», sagte er. «Das Ziel muss sein, dass es nach Corona besser ist als vorher und wir endlich lange bekannte Strukturdefizite abgestellt haben.»

Die Grünen forderten die Kanzlerin auf, den Klimaschutz in den Vordergrund zu stellen. «Machen Sie diese Ratspräsidentschaft zur Klima-Präsidentschaft», sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Konkret solle die Bundesregierung sich für ein Klimaschutzziel 2030 von 65 Prozent weniger Treibhausgasen in der EU im Vergleich zu 1990 einsetzen sowie für jährliche Emissionsbudgets. Der SPD-Europapolitiker Martin Schulz verlangte den Umbau der EU «zu einer echten Solidarunion», in der jedes Mitglied den Beitrag leiste, zu dem es fähig sei. Deutschland müsse in seiner Ratspräsidentschaft den Zusammenhalt und Schwung nutzen, der durch die Corona-Krise unter den EU-Ländern entstanden sei. Selten hätten die Menschen in Europa so sehr im selben Boot gesessen wie in der Pandemie. «Das Beste, was Europa der Welt zu bieten hat, ist Einigkeit, die stark macht.»

Kosten der Krise

Die Linke forderte Merkel auf, in den kommenden sechs Monaten für mehr Gerechtigkeit und Solidarität in Europa zu sorgen. Die Krise treffe die Ärmsten am härtesten, sagte Fraktionschefin Amira Mohamed Ali. Über eine Vermögensabgabe für Milliardäre und Multimillionäre werde aber nicht gesprochen. «Nach Ihren Konzepten werden am Ende die Kosten der Krise von den Familien, den Arbeitnehmerinnen, den Rentnern in Paris, Rom und Berlin bezahlt werden.» Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel warf der Kanzlerin vor, den Bürgern keinen reinen Wein über die zusätzlichen Milliarden-Zahlungen Deutschlands an die EU einzuschenken. «In dieser Situation haben wir keine Milliarden zu verschenken, denn wir müssen uns selbst helfen.» Deutschland habe genügend eigene Probleme. «Unserem Land droht eine nie da gewesene Welle von Arbeitslosigkeit und Unternehmenspleiten», warnte Weidel.

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