Emmanuel Macron wartete lange auf diesen Augenblick. Der seit knapp einem Jahr amtierende französische Staatschef begrüßte nach Monaten der politischen Unsicherheit in Deutschland die neugewählte Kanzlerin Angela Merkel im Élyséepalast. Charmant gratulierte der 40-Jährige der «chère (lieben) Angela» für die neuformierte große Koalition.

Mit seiner Wunschpartnerin für einen Umbau der EU will der Senkrechtstarter so schnell wie möglich an die Arbeit gehen. Schon den Blick auf die Europawahlen im Mai kommenden Jahres gerichtet, will der sozialliberale Staatschef nicht den Populisten und Euroskeptikern das Feld überlassen. Britischer EU-Austritt, das Erstarken antieuropäischer Protestparteien in Italien, Katalonien-Krise in Spanien - die EU ist in der Tat in einer schwierigen Lage.

«Lange Jahre hat Europa darauf gewartet, dass das deutsch-französische Paar vorangeht und Vorschläge macht. Wir sind dafür bereit», lautet nun Macrons entschlossene Ansage. Bis zum Juni solle es einen gemeinsamen Fahrplan für die von ihm geforderte Neuaufaufstellung der EU geben. Auch für Merkel ist ein gemeinsames Vorgehen «notwendiger denn je».

Kräftiger Gegenwind für Macron

Ist das einfach? Nein. In Frankreich bekommt Jungstar Macron inzwischen kräftig Gegenwind. Bei der hoch verschuldeten Bahngesellschaft SNCF steht ein Streik vor der Tür, Rentner wehren sich gegen höhere Belastungen.

In Europa wird zudem deutlich, dass die ehrgeizigen Reformpläne des Ex-Bankiers so nicht durchsetzbar sind. So musste die Idee eines eigenen Parlaments für die Eurozone bereits beerdigt werden, resümierte unlängst die angesehene Tageszeitung «Le Monde».

Auch Macrons Vorstoß für einen europäischen Finanzminister stieß nicht auf die erhoffte Resonanz. Ressortchefs aus acht nördlichen Mitgliedsländern, darunter die Niederlande oder Finnland, wehren sich in Brüssel gemeinsam gegen weitgehende Kompetenzverschiebungen in Richtung EU.

«Merkel wartet, bis der Schwung verloren geht.»

Ausgerechnet die Niederländer, die in Brüssel sonst oft an der Seite Deutschlands sind, zeigen sich im Hinblick auf die neue deutsch-französische Harmonie offensichtlich besonders kritisch. Ministerpräsident Mark Rutte sagte dem Magazin «Der Spiegel», er sei nicht bereit, mehr Geld in das EU-Budget zu zahlen. Im Koalitionsvertrag heißt es, dass Deutschland bereit ist, höhere Beiträge zu zahlen. «Wir nicken nicht einfach alles ab», lautet Ruttes Warnung.

Fast sechs Monate ließ die deutsche Kanzlerin verstreichen, ohne konkrete Antworten auf Macrons Vorschläge zu geben. Das könnte nicht nur an der schwierigen Regierungsbildung und dem nur noch geschäftsführenden Charakter des alten Merkel-Kabinetts gelegen haben. Kritiker gehen auch davon aus, dass die Kanzlerin auch gar nicht konkreter werden wollte. Die Grünen-Europapolitikerin Ska Keller argwöhnt: «Merkel wartet, bis der Schwung verloren geht.»

Was also will Merkel? In ihrer Umgebung wird die Macron-Forderung nach einem eigenen Haushalt für die Eurozone skeptisch gesehen. Finanzpolitische Strukturen sollten nicht verdoppelt werden, lautet die Ansage. Zudem seien nach dem Brexit, also dem Austritt Großbritanniens aus der EU, ohnehin 85 Prozent von EU und Eurozone deckungsgleich. Auch ein eigener Finanzminister für die Eurozone wäre vor allem bei CDU und CSU schwer durchzusetzen.

Olaf Scholz lobte Macrons Reformvorschläge

Die von Merkel grundsätzlich akzeptierte europäische Bankenunion gilt zudem wegen der geplanten gemeinsamen Einlagensicherung in Berlin immer noch als problematisch. Es gibt vor allem Vorbehalte in Deutschland, weil dort Banken fürchten, in Krisenfällen für Geldhäuser in anderen Ländern haften zu müssen.

Auch der neue Finanzminister Olaf Scholz war in der französischen Hauptstadt, um Wirtschafts- und Finanzressortchef Bruno Le Maire in seinem riesigen Ministerium an der Seine zu treffen. Der SPD-Politiker lobte ausdrücklich die Reformvorschläge Macrons - der Staatschef sei «mutig vorangeschritten.» Mit Blick auf den künftigen EU-Haushalt zeigte sich der Vizekanzler zuversichtlich, dass es am Ende einen Lösung geben werde, die auch die niederländischen Ministerpräsidenten zufriedenstelle.

Von Christian Böhmer und Thomas Lanig

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