Berlin - Der Meister der Drei-Wort-Sätze wäre sofort dabei. Franz Müntefering, Ex-SPD-Chef, Ex-Vizekanzler, Ex-Arbeitsminister und jetzt umtriebiger Politrentner aus dem Ruhrpott, ist ein Fan der Idee, dass junge Leute schon ab 16 statt 18 Jahren den Bundestag mitwählen dürfen. «Ich kenne 16-Jährige, die mindestens so politisch sind wie manche Ältere», sagte er vor ein paar Monaten. Mit dem Wahlrecht alleine sei es aber nicht getan. Die Jüngeren müssten dann auch wirklich wählen gehen, für Demokratie und Gerechtigkeit kämpfen: «Handy reicht nicht!», meinte «Münte». Mahnendes Beispiel: Beim Brexit-Votum in Großbritannien machten viele Jüngere nicht mit, überließen frustrierten Älteren das «No» zur EU – als es zu spät war, gingen geschockte junge Briten auf die Straße.

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Ein Jugendlicher steckt einen Simmzettel in eine Wahlurne. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Positive Trendwende

In Deutschland wächst die Lust der Generation der «digital natives» auf Politik wieder. In der Shell-Jugendstudie 2015 wurde bei den 12- bis 25-Jährigen eine positive Trendwende vermerkt – im Vergleich zum Tiefpunkt mit 30 Prozent (2002) sind es nun 41 Prozent, die sich selbst als «politisch interessiert» bezeichnen. Aber den Parteien misstrauen viele. Der Aussage «Politiker kümmern sich nicht darum, was Leute wie ich denken» stimmten 69 Prozent der Jugendlichen zu.

Bei solchen Sätzen horcht einer natürlich auf - Martin Schulz. Der SPD-Kanzlerkandidat, der als selbst ernannter Kleine-Leute-Versteher und Agenda-2010-Kritiker durch die Republik zieht und im Herbst Angela Merkel aus dem Kanzleramt verdrängen will, muss bei Wählergruppen punkten, bei denen die SPD Boden verloren hat: bei Jungwählern und vor allem Frauen.

Bei der Wahl 2013 gaben 36,7 Prozent der Frauen Merkels CDU ihre Zweitstimme – für die SPD mit ihrem unglücklichen Kandidaten Peer Steinbrück reichte es nur für 26,6 Prozent. Ganz anders Gerhard Schröder: Der damalige SPD-Kanzler mobilisierte bei den Frauen 2002 einen Zweitstimmenanteil von 40 Prozent. Bei den Jungwählern dagegen waren CDU und SPD vor vier Jahren beide vergleichsweise schwach. Hier räumten Grüne und Linke ab.

Junge Wahlkämpfer

So passt es gut ins Bild, dass Schulz gelegentlich an Jugendkonferenzen der Jusos in Berlin teilnimmt. Ohne den SPD-Nachwuchs geht im Wahlkampf wenig. Die Jusos sind beim Plakatekleben, an den Ständen in den Fußgängerzonen, an den Unis und im Netz eine Bank. Für Sigmar Gabriel, den mit Juso-Chefin Johanna Uekermann eine herzliche Abneigung verbindet, wären sie nur widerwillig auf die Straße gegangen. Bei Schulz ist es anders. Von den 10 000 Neueintritten in die SPD seit Schulz' Nominierung sind 40 Prozent jünger als 35 Jahre.

Aber: Mit den Jungen ist keine Wahl in Deutschland zu gewinnen. Die Alten haben das Sagen. Gut jeder dritte Wahlberechtigte war 2013 über 60 – und die Grauen nutzen ihre Macht im Gegensatz zu jungen Hipstern und Azubis. Bei den 60- bis 69-Jährigen gaben fast 80 Prozent ihre Stimme ab. Krasser Gegensatz: Am geringsten war vor vier Jahren mit 60 Prozent die Wahlbeteiligung bei den 21- bis 24-Jährigen. Ist der Ruf von SPD und Grünen nach einer Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 also ein Rohrkrepierer, zumal die CDU ohnehin nicht mitziehen will?

Steigerung der Gesamtwahlbeteiligung?

Wissenschaftler raten zu. Die Bertelsmann-Stiftung schaute 2015, wie sich die Wahlbeteiligung in ausgewählten Ländern wie Brandenburg, Bremen und Hamburg entwickelt hat, wo ab 16 die Landtage gewählt werden. Die 16- und 17-Jährigen haben keine Top-Quoten, sind aber interessiert und wählen meist eher als die über 20-Jährigen. «Die Erstwahlbeteiligung kann ein strategischer Hebel zu einer Steigerung der Gesamtwahlbeteiligung sein. Steigt die Erstwahlbeteiligung um ein Drittel, führt das allein langfristig zu einem Wiederanstieg der Gesamtwahlbeteiligung auf etwa 80 Prozent», so die Forscher. Das würde dauern. Die Simulation reicht bis ins Jahr 2049.

Ein niedrigeres Wahlalter ist kein Selbstläufer. Die Erfahrungen aus Österreich, wo 2007 das nationale Wahlrecht ab 16 eingeführt wurde und als durchaus erfolgreich gilt, sowie einzelnen Bundesländern zeigen, dass Jugendliche in Schule, Familie und sozialen Medien für die Wahl und die Demokratie begeistert werden müssen. So begnügte sich Hamburg nicht damit, dass Jungwähler sich im Internet über den Wahlquiz Wahl-o-mat zu den Parteien schlau machten, sondern begleiteten das mit Diskussionsrunden in den Schulen. Das ist ganz im Sinn von Thomas Krüger. Der Chef der Bundeszentrale für politische Bildung, die den erfolgreichen Wahl-o-mat vor 15 Jahren erfunden hat, wünscht sich, dass auf kommunaler Ebene künftig schon 14-Jährige wählen dürfen.

Von Tim Braune, dpa

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