Brüssel - Schier endlos hat es gedauert bis zur ersten Runde der Brexit-Gespräche - fast genau ein Jahr mit politischen Winkelzügen und Seitenhieben und Überraschungen. Doch an diesem Montagmorgen geht es dann überpünktlich los. Um 10.58 Uhr schütteln sich Brexit-Minister David Davis und EU-Unterhändler Michel Barnier lächelnd vor Union Jack und Europaflagge die Hände. Die aufgebauten Stehpulte werden flugs noch etwas zusammengerückt, dann versichert man sich einmütig, wie konstruktiv man verhandeln wolle. «Uns verbindet mehr als uns trennt», versichert Davis.

Knapp acht Stunden später treten die beiden Unterhändler ebenso treulich wieder vor die Journalisten im Berlaymont-Gebäude der EU-Kommission und ebenso entschlossen positiv gestimmt. «Diese erste Runde war tatsächlich ein Start mit dem richtigen Fuß», lobt Barnier. Und Davis: «Ich kann mit Freude berichten, dass es viele Gemeinsamkeiten gibt.»

Fast könnte man glauben, der EU-Austritt Großbritanniens sei ein großes Missverständnis. Brexit? Streit? Bitterkeit? War da was?

Kreise zum Quadrat erklären

Tatsächlich kann ein bisschen guter Wille nicht schaden. Denn, das wissen beide Seiten, es werden außerordentlich schwierige Verhandlungen, bis Großbritannien Ende März 2019 die Union endgültig verlässt. Für einige Fragen ist längst noch keine Lösung in Sicht, an einigen Stellen wird man wohl Kreise zum Quadrat erklären müssen, um überhaupt weiter zu kommen und die Folgen dieses Austritts abzufedern.

Das Thema, das beide Seiten zur obersten Priorität erklärt haben, ist vielleicht sogar das einfachste: Garantien für die Rechte der 3,2 Millionen EU-Bürger im Vereinigten Königreich und der rund eine Million Briten in der EU erfordern vor allem politischen Willen. Premierministerin Theresa May selbst will die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag über ihre Position unterrichten, wie Davis sagt. Dann werde man ein ausführliches Papier dazu veröffentlichen. Der Minister gibt sich sehr zuversichtlich, dass eine rasche Einigung möglich ist.

 Möglicher Ablauf des Austritts Grobritanniens aus der EU

Machbar scheint auch ein Kompromiss bei den finanziellen Verpflichtungen Großbritanniens nach dem Austritt. Auch dazu richteten die Unterhändler eine Arbeitsgruppe ein. Zwar wollen die Briten am liebsten gar nichts mehr an die EU überweisen, das war ja ein Ziel beim Brexit. Aber nun lassen sie sich doch auf die Debatte ein. Die auf EU-Seite kursierenden Zahlen von bis zu 100 Milliarden Euro für längerfristige Zusagen der Briten sollte man wohl auch nicht für bare Münze nehmen. Barnier hat sie aber nicht öffentlich bestätigt, was Spielräume lässt. Am Ende, so vermuten Diplomaten in Brüssel, wird wohl eine politische Zahl stehen, irgendwo zwischen Null und 100 Milliarden.

«Deal, wie es ihn in der Geschichte noch nie gab.»

Sehr kompliziert wird hingegen die Gestaltung der künftigen Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland - das betonen an diesem Abend sowohl Barnier als auch Davis. Denn Großbritannien will nicht nur aus der EU, sondern auch aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aussteigen. Das heißt, man muss Waren, Dienstleistungen und Reisende beim Grenzübertritt eigentlich strikt kontrollieren. Eine solch harte Grenze wäre aber politisch heikel und würde auf der irischen Insel eine neue Vereinigungsdebatte lostreten. «Flexible und fantasiereiche Lösungen» fordert deshalb die EU in ihren Verhandlungsleitlinien. Wie sie aussehen können, bleibt offen.

Das dickste Brett aber wird wohl die Gestaltung der künftigen Beziehungen beider Seiten, über die die EU nach den drängendsten Trennungsfragen ab Herbst verhandeln will. Davis wiederholt am Montag die Formulierung von Premierministerin Theresa May von der «tiefen und besonderen Partnerschaft». In einem schriftlichen Statement verspricht er sogar einen «Deal, wie es ihn in der Geschichte noch nie gab».

Was das aber genau sein soll, ist bis heute unklar. Ein besonderes Freihandelsabkommen möglichst ohne Schranken für die Wirtschaft, möglichst ohne Zölle - aber ohne die lästigen Bedingungen, die die EU für die Mitgliedschaft in Binnenmarkt und Zollunion stellt? Die EU hat dafür das böse Wort der «Rosinenpickerei» und will davon nichts mehr hören.

Großbritannien im Binnenmarkt halten

Mancher auf EU-Seite hofft, dass es sich die Briten noch einmal überlegen - dass die britischen Unterhändler «wenigstens versuchen, Großbritannien im Binnenmarkt zu halten», wie es Bundesaußenminister Sigmar Gabriel formuliert. Oder zumindest in der Zollunion, was die irische Grenzfrage deutlich entschärfen würde.

Ob es einen solchen Schwenk geben könnte, hängt von der britischen Innenpolitik ab. May steckt seit ihrer Schlappe bei der Unterhauswahl im politischen Treibsand. Ihre hölzerne Reaktion auf den Hochhausbrand beschädigt sie zusätzlich. Ob die Konservative neue Unterstützung findet, und das eher bei Hardlinern oder Weichmachern in der Brexit-Frage - all das ist zum Auftakt dieser Gespräche offen.

Von Verena Schmitt-Roschmann

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