Es ist ein ungewöhnlich lauer Abend in Brüssel, überall im historischen Stadtzentrum genießen Menschen in Straßencafés den Ausklang des Tages - da bricht Unruhe aus. Der Schrecken, den die Brüsseler von den Terroranschlägen im vergangenen Jahr noch gut in Erinnerung haben, kehrt plötzlich für einen Moment zurück. Gebracht hat ihn ein Mann mit offensichtlich islamistischen Motiven und einem Koffer voller Nägel und Gasflaschen.

Gegen 20.45 Uhr, so wird es später die Staatsanwaltschaft rekonstruieren, ist aus dem Zentralbahnhof eine kleine Explosion zu hören, mitten in der Innenstadt, unweit der prächtigen Grand-Place, einer der wichtigsten Touristenattraktionen der belgischen Hauptstadt. Im Gebäude geraten Menschen in Panik, wie Augenzeugen berichten. Etwa 100 Männer und Frauen, so schätzt später eine Mitarbeiterin der belgischen Bahn, sind zu dem Zeitpunkt im Bahnhof. Sie retten sich aus der Station oder werden ins Freie geführt.

Dort sind auch, wie seit den Terrorattacken im vorigen Jahr fast überall an öffentlichen Plätzen in Belgien, Soldaten mit der Waffe im Anschlag. Sie schreiten nach Angaben der Staatsanwaltschaft sofort ein und schießen auf einen Mann, der sich mit den Worten «Allahu akbar» (Gott ist groß) auf einen oder mehrere von ihnen stürzt. «Der Mann wurde neutralisiert», erklärt die Staatsanwaltschaft. Er stirbt an Schussverletzungen. Erst viele Stunden später wird er aus dem Gebäude gebracht.

«Er wollte mehr Schaden anrichten als er es getan hat.»

Der 36-jährige Marokkaner kommt aus der als Islamisten-Hochburg bekannten Brüsseler Gemeinde Molenbeek. Bevor er die Soldaten angreift, hat er einen Sprengsatz in seinem Koffer inmitten einer Gruppe Reisender zur Zündung gebracht, wie die Staatsanwaltschaft später erklärt. Es kommt zu einer kleinen Detonation. Das Gepäckstück, mit Nägeln und Gasflaschen gefüllt, gerät in Brand. Eine zweite, stärkere Verpuffung folgt - aber eine große Explosion bleibt aus.

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Karte zur Lage des Zentralbahnhofs

«Zum Glück wurde niemand verletzt», teilt die Staatsanwaltschaft mit. Sprecher Eric Van der Sijpt sagt: «Er wollte mehr Schaden anrichten als er es getan hat.» Ein Foto macht später in sozialen Netzwerken und Medien die Runde: Ein leuchtend heller Feuerschein in der Bahnhofshalle, offensichtlich ist der brennende Koffer zu sehen.

Anti-Terror-Ermittler übernehmen. Van der Sijpt sagt noch am Abend vor laufenden Kameras: «Wir behandeln das als Terroranschlag.» Sicherheitskräfte durchkämmen den Bahnhof auf der Suche nach möglichen weiteren Tätern. Der Täter habe zumindest im Bahnhof allein gehandelt, sagt Van der Sijpt am nächsten Tag auf die Frage nach Hintermännern.

Die Menschen in Brüssel lassen sich nicht einschüchtern

Brüssel reagiert nach dem ersten Schrecken bemerkenswert gelassen. Rund um den Zentralbahnhof ist an diesem Abend alles abgesperrt, Polizeiwagen und Ambulanzen sind aufgefahren. Uniformierte bitten Passanten, sich zu entfernen. Möglichst solle man geschlossene Räume aufsuchen. Doch kaum einer leistet dem Folge - und es wird auch niemand gedrängt. Alles wirkt sehr unaufgeregt. Das wird auch daran liegen, dass die Polizei kaum eine halbe Stunde nach der Tat schon per Twitter die Bevölkerung mit den Worten «Situation unter Kontrolle» beruhigt.

So sehr die unmittelbar Betroffenen in Angst und Schrecken versetzt wurden, so aufgeschreckt viele in sozialen Medien die Ereignisse verfolgen - nur wenige Hundert Meter entfernt vom Tatort scheint die Brüsseler Innenstadt in gewisser Weise unberührt vom Geschehen.

Die Grand-Place bleibt bis in die späten Abendstunden belebt, Gerüchte von einer Räumung erweisen sich als falsch. In den Straßencafés sitzen Stunden später immer noch Menschen und trinken entspannt ihr Feierabendbier. Fast so, als wäre nichts gewesen. Oder, wie Premier Charles Michel es am Tag danach formuliert: «Wir lassen uns nicht einschüchtern von den Terroristen.»

Von Martina Herzog und Verena Schmitt-Roschmann

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