Edouard Philippe nutzt die weltbekannte Kulisse des Pariser Eiffelturms, um seine Landsleute zu beruhigen. Zwar laufe der Ausnahmezustand aus, sagt der französische Premierminister. Doch Polizisten und Soldaten würden weiterhin auf den Straßen patrouillieren.

«Der Grad der Bedrohung bleibt hoch», lautet das Credo des konservativen Politikers vor dem Hauptstadt-Wahrzeichen, das jedes Jahr von Millionen Touristen besucht und deshalb besonders geschützt wird. Sicherheit, so der Regierungschef, sei Sache aller Bürger.

Der terrorbedingte Ausnahmezustand ist also mit Mittwoch vergangener Woche vorüber, doch einige wichtige Regelungen bleiben den Behörden vorerst erhalten. Denn es gibt das verschärfte Sicherheitsgesetz, das der sozialliberale Staatspräsident Emmanuel Macron unterzeichnet hatte.

Symbolische Rückkehr zur Normalität

Der Übergang führt zu Debatten in dem Land, das seit fast drei Jahren von einer beispiellosen islamistischen Terrorserie erschüttert wird, die etwa 240 Menschen aus dem Leben riss. Dazu kommt der Terroranschlag von Halloween mit acht Toten in New York. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen von der Front National (FN) wirft Macron vor, die Fähigkeit des Landes im Kampf gegen den Islamismus zu schwächen. Das neue Sicherheitsgesetz reiche nicht aus.

Fast zwei Jahre ist es her, dass Macrons Amtsvorgänger François Hollande den Ausnahmezustand verkündete. Mit bebender Stimme wandte der Sozialist sich damals an seine Landsleute - gerade erst hatten Islamisten am 13. November 2015 bei Anschlägen in Paris ein Blutbad angerichtet. Der unter diesen dramatischen Umständen verhängte Notstand war ursprünglich nur für einige Monate geplant, wurde aber angesichts immer neuer Anschläge sechsmal vom Parlament verlängert.

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Islamistisch motivierte Anschläge mit Todesopfern in Europas Metropolen. Nicht in der Grafik: Messerangriff am Bahnhof Marseille-Saint-Charles, 1. Oktober 2017, 2 Tote.

Ein Schritt zurück zur Normalität für das terrorgeplagte Land? Symbolisch sicherlich - Macron hatte das Ende mit großen Worten angekündigt: «Ich werde die Freiheit der Franzosen wieder herstellen», sagte er im Sommer. Doch Menschenrechtler, die seit Langem ein Ende des Ausnahmezustands fordern, sind skeptisch. «Letztlich wird der Ausnahmezustand faktisch nicht komplett aufgehoben», kritisiert Dominique Curis von Amnesty International im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Neues Sicherheitsgesetz tritt in Kraft

Die Entscheidung ist für die Regierung eine Gratwanderung zwischen der Kritik an der Einschränkung von Grundrechten und der Sorge vor neuen Anschlägen. Der Ausnahmezustand hatte es den Behörden ermöglicht, präventiv gegen mutmaßliche Gefährder vorzugehen, selbst wenn nicht genug vorliegt, um Justizermittlungen einzuleiten.

Mehr als 4400 Hausdurchsuchungen wurden unter Ausnahmerecht durchgeführt, zeitweise 400 Menschen unter Hausarrest gestellt. Die meisten Maßnahmen gab es jedoch kurz nach den Pariser Anschlägen. Danach sank die Zahl rapide - zuletzt standen noch 41 Menschen unter Hausarrest.

Die Regierung hielt es aber für zu riskant, einfach so aus dem Ausnahmezustand auszusteigen. Das neue Sicherheitsgesetz übernimmt daher zentrale Ausnahme-Maßnahmen in abgeschwächter Form ins normale Recht, befristet bis Ende 2020.

Mehr Macht für die Exekutive

Das bedeutet konkret: Auch weiterhin können die Behörden präventiv Wohnungen durchsuchen und die Bewegungsfreiheit von Menschen einschränken, die sie für Gefährder halten. Die Durchsuchungen heißen jetzt offiziell «Visiten» und brauchen vorher die Genehmigung eines Richters, und statt Hausarrest kann nur noch angeordnet werden, die eigene Gemeinde nicht mehr zu verlassen.

Trotzdem: «Die Logik ist, der Exekutive mehr Macht zu geben», sagt Amnesty-Expertin Curis. Und das auf einer «sehr vagen Basis», die viel Interpretationsspielraum lasse. Macron verteidigte hingegen am Dienstag vergangener Woche vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg das neues Gesetz ausdrücklich.

Für den deutschen Politikwissenschaftler Matthias Lemke, der derzeit in Paris arbeitet und sich mit dem Ausnahmezustand in Demokratien befasst, steckt hinter dieser «Form des Nicht-Ausstiegs» politisches Kalkül. «Ich glaube, für Regierungen unserer Zeit ist Sicherheit ein ganz zentrales Motiv, an dem sich auch Legitimität ermisst», sagt er.

Debatte über Umgang mit Terror geht weiter

Die Frage nach den Wirkungen des Ausnahmezustands ist umstritten und schwer zu beantworten. Der frühere Innen- und Premierminister Bernard Cazeneuve hatte im Sommer nach seinem Ausscheiden aus der Regierung versichert, «zahlreiche Anschläge» seien dank des Notstandsrechts verhindert worden. Kritiker argumentieren dagegen, dass nur recht wenige Durchsuchungen zu Justizermittlungen geführt hätten.

Es sei sehr schwierig, die Wirkung zu messen, sagt Amnesty-Vertreterin Curis. «Man sieht aber, worauf man verzichtet.» Sie meint, dass der Verzicht auf Freiheitsrechte sich als Niederlage gegenüber Terroristen erweisen könne, die genau diese Freiheit angreifen. Das Ende des Ausnahmezustands wird somit kein Schlussstrich unter der seit Jahren schwelenden Debatte über den Umgang mit dem Terror sein.

Von Sebastian Kunigkeit

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