Vom Friedhof der ungeborenen Regierungen ist die Rede. Von einer «Joghurt-Regierung», die innerhalb kurzer Zeit wieder abgelaufen ist. Von einer Wahl zwischen Pest und Cholera. Es ist ein Drama - oder besser ein Trauerspiel - wie es sich ein Regisseur kaum besser ausdenken könnte. Italien steht nach zwei Monaten voller politischer Ränkespiele immer noch ohne Regierung da. Beispiellos, noch nie da gewesen ein Unikum in der italienischen Geschichte.

Staatspräsident Sergio Mattarella hatte nun sichtlich genug von dem Theater und rief alle Beteiligten zur Verantwortung auf. Eine «neutrale» Regierung soll nach seiner Vorstellung die anstehenden wichtigen Ereignisse über die Bühne bringen: Der EU-Gipfel im Juni, bei dem es um heikle Themen wie Migration und Haushalt geht, der G7-Gipfel ebenfalls im Juni in Kanada und vor allem die Verabschiedung des Haushalts.

Doch die rechtspopulistische Lega und die europakritische Fünf-Sterne-Bewegung, die sich beide als Wahlgewinner sehen, machten gleich deutlich, dass sie selbst das Machtwort des Präsidenten nicht akzeptieren. Sie wollen möglichst schnell eine Neuwahl.

Auf den Schreck folgt der Schock

Italien ist bekannt für seine instabilen Regierungen, für Krisen und auch für kreative Lösungen. Von letzterem merkt man derzeit wenig. «Sogar für ein Land, das seit langem unter Regierungsinstabilität leidet, ist die derzeitige politische Krise beispiellos», schreibt der Think Tank Teneo.

Wenn schon der Ausgang der Wahl im März für Europa ein Schreck war, dann dürfte jetzt ein richtiger Schock folgen. Mehr als jeder zweite Wähler in Italien hatte für eine europakritische oder -feindliche Partei gestimmt. Umfragen zeigen, dass von dem anhaltenden Chaos in Rom vor allem zwei profitieren: Die Lega mit ihrem Chef Matteo Salvini hat in den Wochen nach der Wahl weiter zugelegt - so auch die Fünf Sterne mit Luigi Di Maio an der Spitze.

Die beiden bilden aus europäischer Sicht so etwas wie das «Duo infernale». Vor allem Salvini ließ keine Gelegenheit aus, sich für die Verteidigung des Mottos «Italiener zuerst» in der EU einzusetzen. Doch mit Di Maio konnte er sich nicht zusammenraufen, vor allem weil der etwas gegen Salvinis Bündnispartner Silvio Berlusconi hat und partout nicht mit dem skandalbelasteten Ex-Regierungschef gemeinsame Sache machen will. Der so oft beschworene Wille des Volkes? Geschenkt. «Die Nein-Zwillinge» taufte die Zeitung «La Repubblica» Di Maio und Salvini.

«Wahlen in Flipflops»

Ausgerechnet der Sommer, wenn die meisten Italiener am Strand liegen, Gelato essen und das öffentliche Leben zum Erliegen kommt, schwebt den Populisten als neuer Wahltermin vor. «Zwei inkompetente Politiker (Di Maio und Salvini) rufen die Italiener zu Wahlen in Flipflops auf», empörte sich die linke Ex-Außenministerin Emma Bonino.

Zwar ist der 8. Juli, wie von der Lega vorgeschlagen, rein technisch gar nicht möglich. Wohl aber der 22. Juli. Sollte es so kommen, wäre das die kürzeste Zeit in der Geschichte der Italienischen Republik, nach der die Wähler wieder an die Urnen gerufen werden. Und dass dann ein weniger kompliziertes Ergebnis als im März herauskommt, ist wegen eines immer noch komplizierten Wahlgesetzes unwahrscheinlich. Nicht nur das dürfte in Brüssel und Berlin mit Sorge betrachtet werden.

Viel lauter könnten die Alarmglocken bald schrillen - und auch von Salvini und Co. nicht mehr ignoriert werden, wenn es zu Unruhen an den Märkten kommt. Die politische Instabilität bremse Investitionen und den Konsum weiter aus, erklärte der Ökonom Carsten Hesse der Berenberg-Bank. Im ersten Quartal sei das Bruttoinlandsprodukt um nur 0,3 Prozent gewachsen, so wenig wie sonst kaum in einem Land der Eurozone. Nach der Wahl reagierten die Finanzmärkte noch vergleichsweise ruhig, doch die Aussicht auf baldige Neuwahlen mit einer ähnlichen Pattsituation verschreckte die Anleger am Dienstag.

«Italien befindet sich im Limbus»

Italien ist so hoch verschuldet wie kaum ein anderes Land auf der Welt, das Bankensystem berappelt sich nach langer Krise nur langsam, die Wirtschaft hinkt weiter. Eine Wahl im Herbst hätte laut Mattarella auch eine Anhebung der Mehrwertsteuer zur Folge - was wiederum «rezessive Effekte» nach sich ziehen würde: Die gerade wieder etwas positivere Entwicklung der Wirtschaft würde gedämpft.

«Italien befindet sich im Limbus (Vorhölle) – im Moment ist nicht abzusehen, wie es weiter gehen wird», sagte Caroline Kanter von der Konkrad-Adenauer-Stiftung in Rom. «Was Deutschland betrifft, so sehe ich derzeit die wirtschaftlichen Beziehungen aber nicht gefährdet, sondern stabil und solide.»

Spricht das Parlament einer neutralen Regierung das Vertrauen aus, könnte sie das Land immerhin durch das Jahr führen, den Haushalt verabschieden und dann abtreten. Eine Neuwahl stünde dann 2019 an. Einigen sich die Parteien in der Zwischenzeit doch noch auf eine politische Regierung, könnten die Experten schon früher zurücktreten.

Doch derzeit sieht es nach dem gefürchteten Szenario aus, denn Lega und Fünf Sterne haben eine Mehrheit im Parlament: Bekommt die neutrale Regierung nicht das Vertrauen, ist eine Neuwahl im Sommer oder im Herbst kaum abzuwenden. «Von heute an sind wir wieder im Wahlkampf», rief Di Maio bereits. Für viele Italiener eine gruselige Vorstellung, erneut wochenlange Polemik ertragen zu müssen. Mattarella warnte schlicht vor einem «ähnlich bitteren und polemischen Wahlkampf» ohne Sieger.

Von Lena Klimkeit und Annette Reuther

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