Es ist wieder soweit: Straßburg-Woche. Mehr als 700 Europaabgeordnete sind mit frischer Wäsche für vier Tage, mit Hunderten Mitarbeitern und tonnenweise Akten zur Plenarsitzung im Elsass. Und pünktlich zum monatlichen Ritual der Parlamentsnomaden ist auch die Debatte zurück: Dieser Aufwand, diese Kosten, diese Umweltlasten – muss das sein? Warum stoppt niemand den Wanderzirkus?

Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz fing vergangene Woche damit an. Der doppelte Parlamentssitz in Straßburg und Brüssel sei «Unsinn» in einer Zeit, da Europa sparen müsse, sagte der Konservative. Dann stimmte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ein und betonte: «Die Arbeit des Europäischen Parlaments sollte auf einen Standort konzentriert werden.»

Zu viele Standorte

Derzeit sind es drei Standorte. Drei Wochen im Monat arbeiten die Abgeordneten, wenn nicht im Wahlkreis, dann in Brüssel in einem zwar von Bauschäden geplagten, aber doch voll ausgestatten Parlamentskomplex samt Plenarsaal. Dann kommt die Straßburg-Woche, und das halbe Europaviertel setzt sich mit Lastwagen, Sonderzügen oder Fliegern in Bewegung. Die Verwaltung des Hauses wirkt derweil in Luxemburg.

Es fiel schon bei früherer Gelegenheit auf, dass das alles ziemlich aufwendig ist. Genau genommen ist die Debatte über den Parlamentssitz vielleicht so alt wie die Institution selbst. Voriges Jahr wurden die sieben Kandidaten vor der Wahl des Parlamentspräsidenten gefragt, ob sie für einen einheitlichen Standort seien. Sieben von sieben sagten: Ja.

Jahre andauernde Diskussion

Vor fünf Jahren probten Abgeordnete den Aufstand gegen den Wanderzirkus. Vor sieben Jahren auch. Und vor zehn Jahren. Und vor zwölf Jahren. Schon Simone Veil, 1979 Präsidentin des ersten direkt gewählten EU-Parlaments, kämpfte gegen die «Karawane» ins Elsass.

Die Argumente sind in all den Jahren weitgehend unverändert. «Die Kosten für die Pendelei betragen bis zu 200 Millionen Euro pro Jahr, und es werden 11 000 bis 19 000 Tonnen CO2 produziert», weiß zum Beispiel der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. Nach offiziellen Angaben fallen mehr als 3100 Dienstreisen pro Monat nur wegen derVerteilung der Standorte an. Und in Straßburg steht ein Parlament, das nur 42 Tage im Jahr genutzt wird, aber das ganze Jahr klimatisiert und betrieben werden muss, wie es in einer Resolution von 2013 heißt.

Viele Abgeordnete sind schlicht genervt von dem ständigen Hin und Her, und sie fürchten den Zorn der Steuerzahler. «In einer Zeit in der in Europa überall gespart werden muss, ist dies aus meiner Sicht nicht mehr verantwortlich», sagt Liese. Er zeigt sich deshalb begeistert von der neuen Initiative Kurz-Merkel.

Frankreich blockiert

In all den Jahren sticht aber auch immer dasselbe Gegenargument: Frankreich ist gegen eine Verlegung und sitzt am längeren Hebel. Denn der Sitz des Hauses ist historisch gewachsen und in den EU-Verträgen festgeschrieben. Dies könnten die 28 EU-Staaten nur einstimmig ändern. Aber Paris macht nicht mit.

Die Wanderzirkus-Gegner wissen das und versuchen, die französische Regierung mit allerlei charmanten Gegenangeboten zu umgarnen. Als es im Frühjahr 2017 um die Verlegung von EU-Agenturen aus Großbritannien nach dem Brexit ging, wurde die Idee gestreut, man könnte ja die Europäische Arzneimittelagentur EMA in Straßburg ansiedeln. Hunderte gut bezahlte Fachleute samt Kongresstourismus wären wirtschaftliche Entschädigung für den Verlust des Parlaments. Aber die Idee zog nicht und die EMA zieht nun nach Amsterdam.

Jetzt brachte die Grünen-Abgeordnete Terry Reintke eine schöne neue Europa-Uni im Parlamentsgebäude ins Gespräch. Liese sagt: «Wir brauchen gute Argumente und man muss auch ein überzeugendes Angebot machen, wie der Verlust für die Stadt Straßburg kompensiert werden kann.»

Doch lässt sich Frankreich umstimmen? So weitgehend die Reformpläne von Staatschef Emmanuel Macron für die EU auch sind – in dieser Frage blieb er bisher ganz bei der französischen Linie: Auf den Parlamentssitz in Straßburg verzichten? Ein No-Go.

«Ich bin nicht für ein Europa, dessen Entscheidungszentren alle am gleichen Ort wären», sagte Macron jedenfalls im April der elsässischen Regionalzeitung «Dernières Nouvelles d'Alsace». Er hänge daran, europäische Institutionen und Agenturen in verschiedenen Ländern zu haben. «Ich habe mehrfach gesagt, dass ich am Standort Straßburg festhalte», betonte Macron. «Ich werde bei der entscheidenden Rolle Straßburgs als europäische Stadt und Stadt der europäischen Institutionen nicht nachgeben.»

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