Europa ist vorne mit dabei. Sobald ein Corona-Impfstoff auf dem Markt ist, dürften Deutsche und andere EU-Bürger zu den ersten gehören, die sich vor dem gefährlichen und wirtschaftlich verheerenden Virus schützen lassen können. Mehrere Hersteller machen Hoffnung, dass es noch dieses Jahr soweit sein könnte, darunter das Mainzer Unternehmen Biontech. Im Idealfall will es schon im Oktober die Zulassung für seinen Impfstoff beantragen.

Die Prognose ist unsicher - das zeigt der Rückschlag beim Hersteller AstraZeneca, der wegen gesundheitlicher Probleme eines Probanden seine klinischen Tests vorerst stoppen musste. Klar ist aber: Die Hoffnung auf eine Lösung für die globale Katastrophe wächst. Nicht nur Deutschlands Regierungschefin Angela Merkel sagt: «Es wird nicht so wie früher, solange wir keinen Impfstoff und kein Medikament haben.» Wer aber bekommt die knappen Arzneien, sobald es sie gibt?

Zwei unterschiedliche Strategien bei der Herstellung von Impfstoffen

Die «America-First»-Regierung unter US-Präsident Donald Trump hat immer wieder für Empörung gesorgt, weil sie sich Berichten zufolge exklusiv Zugang zu Impfstoffen sichern wollte. Zuerst hieß es, Trump wolle mit diesem Ziel den Tübinger Impfstoff-Pionier Curevac kaufen. Dann gab es Wirbel um die Ansage von Sanofi-Generaldirektor Paul Hudson, dass die USA bei einem Impfstoff seiner Pharmafirma Vorrang hätten. Kein Land investiert so viel in die Impfstoff-Entwicklung wie die USA. Der von der Weltgesundheitsorganisation WHO getragenen Initiative Covax für eine faire Verteilung der Mittel auch an arme Länder erteilte Washington aber vor wenigen Tagen eine Absage.

EU unterstützt Initiative Covax

Die Europäische Union hingegen unterstützt Covax und wirbt schon seit dem Frühjahr für weltweite Solidarität in der Corona-Pandemie. Kommissionschefin Ursula von der Leyen startete einen Spendenmarathon für die «Global Response», der nach Angaben der EU-Kommission Zusagen von 15,9 Milliarden Euro für Tests, Medikamente, Impfstoffe und andere Corona-Abwehrmaßnahmen einbrachte. Die EU-Kommission selbst sagte 1,4 Milliarden Euro zu.

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Ein Mann pipettiert in einem Labor des biopharmazeutischen Unternehmens Curevac eine blaue Flüssigkeit.

Für Covax versprach die Kommission Ende August noch einmal 400 Millionen Euro Haftungsgarantien. Am Donnerstag bekräftigte von der Leyen zusammen mit WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus das Ziel eines «Zugangs zu Coronavirus-Impfstoffen, Tests und Behandlungen für alle, die sie brauchen, egal wo».

Doch werden Menschen in Kenia, Vietnam oder Tuvalu wirklich genauso schnell an Impfstoff kommen wie Deutsche oder Franzosen? «Im Idealfall» wäre das so, sagen EU-Beamte. «Ob wir uns dazu verpflichten können, ist eine andere Frage.» John Nkengasong, Leiter der panafrikanischen Gesundheitsorganisation Africa CDC, warnt klar, dass Afrika ins Hintertreffen geraten könnte: «Ich bin besorgt und beunruhigt.»

Europe first?

Tatsächlich bemüht sich eben auch die EU um den besten Startplatz im Rennen um den Impfstoff. Die EU-Kommission verhandelt seit Monaten mit Pharmafirmen über exklusive Bezugsrechte für die aussichtsreichsten Impfstoff-Kandidaten. Der erste Vertrag über bis zu 400 Millionen Impfdosen wurde Ende August mit dem Vorreiter AstraZeneca unterzeichnet. Die Firma erhält nach Angaben der Kommission dafür 336 Millionen Euro Vorkasse.

Die Sondierung für einen ähnlichen Vertrag mit der Mainzer Biontech wurde ebenfalls abgeschlossen: Die Firma könnte bis zu 300 Millionen Dosen liefern. Gespräche gab es zudem mit den Herstellern Sanofi-GSK, Johnson & Johnson, CureVac and Moderna.

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Phasen der Entwicklung eines Impfstoffes.

Noch ist keiner der Impfstoffe abschließend getestet oder in Europa zugelassen. Sobald es aber soweit ist, sollen die 27 EU-Staaten sofort Zugriff bekommen, das ist die Strategie. Das sei angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie wichtig, sagen EU-Beamte. In der EU sollen die Bezugsrechte für die ersten Impfstofflieferungen nach Bevölkerungszahl verteilt werden: Alle beteiligten EU-Staaten sollen bestimmte Mengen kaufen können. Deutschland stellt 18,6 Prozent der EU-Bevölkerung, wäre also mit einem knappen Fünftel dabei. Die Regierungen müssten dann eine Art Rangfolge aufstellen und zum Beispiel zunächst Risikogruppen wie Beschäftigte im Gesundheitswesen oder Ältere impfen.

Ein logistischer Kraftakt

Sollte sich die Hoffnung auf erste zugelassene und sichere Impfstoffe noch dieses Jahr erfüllen, würde es in Europa einige Monate dauern, bis eine nennenswerte Zahl von Bürgern immunisiert wäre. Der CDU-Europaabgeordnete und Arzt Peter Liese schätzt, dass eine Impfrate von 20 bis 30 Prozent helfen würde, «den Horror zu nehmen». Im Frühjahr 2021 könnte sich die Lage spürbar verbessert haben, meint Liese.

Bis Covid-19 weltweit eingedämmt wird, dürfte es deutlich mehr Zeit brauchen. Covax hat sich zwar zum Ziel gesetzt, bis Ende 2021 mindestens zwei Milliarden Impfdosen bereitzustellen. Bei zweimaliger Impfung würde das rechnerisch aber erst für rund eine Milliarde Menschen reichen, also 13 Prozent der Weltbevölkerung von knapp 7,8 Milliarden Menschen. Die Mittel wirklich sicher und gekühlt bis in entlegene Dörfer zu bringen, wird zudem ein logistischer Kraftakt.

Obwohl die EU also im Impfstoff-Rennen vorne liegen dürfte, will sie sich keinesfalls mit Trumps «America-First»-Politik in einen Topf werfen lassen. Der AstraZeneca-Vertrag etwa sehe vor, dass EU-Staaten von ihren Kontingenten Impfstoffe an ärmere Länder spenden können, betonen EU-Beamte. Covax erhalte eigene Bezugsrechte. Und das politische Bekenntnis zur weltweiten Solidarität ist klar: «Niemand ist sicher, bevor alle sicher sind», twitterte von der Leyen zuletzt.

Gesundheitspolitiker Liese gesteht das Dilemma jedoch ein. Weltweite Kooperation sei wichtig, sagt der EU-Abgeordnete, aber: «Die europäischen Bürger haben das Recht, dass wir genug Impfstoff für sie haben. Ich wünschte, ich hätte eine Patentlösung, aber so einfach ist es nicht.»

Von Verena Schmitt-Roschmann

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