Brüssel - Günther Oettinger hat es sich nicht leicht gemacht. Zahllose Gespräche mit Vertretern von Mitgliedstaaten hat der EU-Haushaltskommissar in den vergangenen Monaten geführt, um einen für alle akzeptablen Vorschlag für die künftigen EU-Finanzen machen zu können. Was er nun vorgelegt hat, ist das wohl wichtigste Papier seiner Amtszeit. Doch erste Reaktionen machen wenig Hoffnung, dass langer Streit und Ärger darum zu vermeiden sein werden.

Worum geht es bei Oettingers Vorschlag?

Um den sogenannten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR). Mit ihm legen die EU-Staaten fest, wie viel Geld sie in einem bestimmten Zeitraum für Gemeinschaftsaufgaben zur Verfügung stellen wollen. Zugleich wird geregelt, wie viel Geld höchstens in welche Politikbereiche fließen darf. In den Verhandlungen über den aktuellen Finanzrahmen von 2014 bis Ende 2020 einigten sich die EU-Staaten beispielsweise darauf, dass für die gemeinsame Agrarpolitik höchstens Ausgaben in Höhe von 370 Milliarden Euro eingeplant werden dürfen. Insgesamt dürfen bis Ende 2020 rund 964 Milliarden Euro verplant werden, nach Inflationsanpassungen sind es rund 1087 Milliarden Euro.

Schlägt Oettinger tiefgreifende Änderungen vor?

Ja. Deutlich mehr EU-Geld muss es seiner Vorstellung nach für den Schutz der europäischen Außengrenzen sowie für Verteidigung, Forschung und Jugend (Erasmus+/Interrail) geben. Fast alle anderen EU-Programme sollen hingegen gekürzt werden - auch die Hilfen für Landwirte und strukturschwache Regionen. Die Direktzahlungen an Landwirte sollten um vier Prozent, die Gelder für den gesamten Agrarbereich unterm Strich um fünf Prozent gekürzt werden. Strukturschwachen Regionen droht eine Kürzung der EU-Mittel um sieben Prozent.

Was würden die Änderungen für Deutschland bedeuten?

Deutschland soll nach den Plänen Oettingers künftig deutlich mehr Geld in den Gemeinschaftshaushalt einzahlen. Insgesamt gehe es - einschließlich des Inflationsausgleichs - um elf bis zwölf Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr, sagte er am Mittwoch. 3,5 bis 4 Milliarden Euro davon seien notwendig, um die zu erwartende Brexit-Lücke im Budget zu schließen und neue Aufgaben wie den Schutz der Außengrenzen zu finanzieren.

Wie sich Oettingers Pläne auf die Rückflüsse nach Deutschland auswirken, ist noch unklar. Derzeit profitieren am meisten strukturschwache Regionen, vor allem in Ostdeutschland und Niedersachsen von EU-Mitteln. Sie erhalten aus dem laufenden MFR rund 19,2 Milliarden Euro. Die deutschen Bauern bekommen etwa fünf Milliarden Euro pro Jahr an direkten Hilfen. Hinzu kommen Mittel aus der Forschungsförderung. Unter dem Strich zahlte Deutschland deswegen zuletzt nur einen Jahresbeitrag von 13 Milliarden Euro.

Fünf Prozent weniger Geld für Agrarpolitik - warum legt sich Oettinger mit der mächtigen Bauernlobby an?

Ihm blieb kaum eine andere Wahl. Durch den von Großbritannien geplanten EU-Austritt werden im Gemeinschaftshaushalt künftig jährlich mindestens zwölf Milliarden Euro fehlen, denn das Land hat als sogenannter Nettozahler zuletzt immer mehr Geld eingezahlt als wieder herausbekommen. Hinzu kommen geplante Mehrausgaben in Höhe von acht bis zehn Milliarden Euro pro Jahr.

Warum fordert Oettinger nicht einfach noch höhere Beiträge von den verbleibenden EU-Staaten?

Weil er weiß, dass etliche Nettozahler Beitragserhöhungen höchstens in begrenztem Umfang zustimmen werden. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz schimpft bereits über den Oettinger-Vorschlag. Ziel müsse es sein, dass die EU nach dem Brexit «schlanker, sparsamer und effizienter» werde, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Diesem Ansatz trage der Vorschlag der EU-Kommission «nicht ausreichend Rechnung». Für Österreich sei er «noch weit von einer akzeptablen Lösung entfernt».

Wie geht es jetzt weiter?

Über den Vorschlag Oettingers werden sich nun Vertreter der EU-Staaten beugen, die sich letztlich einstimmig auf den künftigen Finanzrahmen einigen müssen. Die Verhandlungen unter den Mitgliedstaaten dürften etliche Monate dauern, wenn nicht sogar noch deutlich länger. Ihren Vorschlag für den Finanzrahmen von 2014 bis 2021 legte die Kommission beispielsweise im Sommer 2011 vor. Dann stritten die Mitgliedstaaten rund zwei Jahre um einen Kompromiss, bevor dann noch eine Einigung mit dem EU-Parlament gefunden werden musste. Unter Dach und Fach war der aktuelle MFR erst Ende 2013 - kurz vor dem Auslaufen des alten.

Was dürften diesmal die größten Streitpunkte werden?

Heftige Kritik gibt es bereits an den Vorschlägen zu den Landwirtschaftshilfen und den geplanten Beitragserhöhungen. Eine solche «drastische, massive und blinde» Reduzierung sei «einfach undenkbar», hieß es am Mittwoch aus Paris zu den vorgeschlagenen Kürzungen im Agrarhaushalt. Den von Oettinger gewünschten Beitragserhöhungen stehen neben Österreich zudem auch Länder wie die Niederlande, Schweden und Dänemark sehr skeptisch gegenüber.

Und was ist mit dem Vorschlag, die Vergabe von EU-Mitteln künftig an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards zu knüpfen? Ist das nicht ein klarer Affront gegen die polnische Regierung, der eine Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz vorgeworfen wird?

Ein Aufschrei der Empörung blieb zunächst aus. Polen nehme den Vorschlag nicht als konfrontativ wahr, kommentierte der polnische EU-Minister Konrad Szymański. Allerdings ist er auch der Auffassung, dass die Vorwürfe gegen die polnischen Justizreformen haltlos sind.

Wie wird Deutschland in die Verhandlungen gehen?

Die Bundesregierung will Beitragserhöhungen unter bestimmten Voraussetzungen zustimmen. «Wir sind bereit, für eine Stärkung der Europäischen Union Verantwortung zu übernehmen – dazu gehört aber eine faire Lastenteilung aller Mitgliedstaaten», hieß es am Mittwoch in einer gemeinsamen Mitteilung von Finanzminister Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas (beide SPD). Zudem fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die Verteilungskriterien für EU-Gelder für strukturschwache Regionen «künftig auch das Engagement vieler Regionen und Kommunen bei der Aufnahme und Integration von Migranten widerspiegeln» sollten.

Hat der Vorschlag von Merkel Erfolgsaussichten?

Wenn er als finanzieller Ausgleich für Länder wahrgenommen wird, die Flüchtlinge aufnehmen, vielleicht schon - wenn er als Bestrafung wahrgenommen wird, eher nicht.

Hat Oettinger irgendwelche Druckmittel in der Hand, um eine Einigung auf den künftigen Finanzrahmen zu beschleunigen?

Nein. Er hat aber Argumente, warum noch vor der Europawahl im Mai 2019 Klarheit geschaffen werden sollte. «Wenn wir zu einem Zeitpunkt, wo die Briten leider gehen, die Handlungsfähigkeit Europas demonstrieren wollen, dann müssen wir uns einigen», sagt er jüngst. Wichtig sei dies auch als Zeichen an die «Autokraten in Ankara, Moskau oder in einem Flügel im Weißen Haus». Diese erwarteten nämlich ein Scheitern des europäischen Modells. Zudem argumentiert Oettinger, dass Landwirte, Bürgermeister und regionalen Regierungen als Empfänger von EU-Geldern Planungssicherheit bräuchten. «Je intensiver, je schneller wir entscheiden, desto besser», sagte er am Mittwoch vor dem EU-Parlament.

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Mehr als 40 Prozent ihrer Ausgaben investierte die EU 2016 in "Soziale Sicherung": insgesamt 2844 Milliarden Euro. Die EU ist damit nicht nur eine Wirtschaftsunion, sondern leistet ihren Einwohnern auch wichtige soziale Hilfe. (Den vollständigen Text finden Sie nach dem Download der Hires-Vektor-Datei bzw. der Hires-Datei im PDF-Dokument.) Grafik: Fred Bökelmann, Redaktion: Sophie Thunemann, Caroline Wiemann, Datenerhebung: jährlich, voraussichtlich nächste Daten: Frühjahr 2019

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